Schlank ist nicht fit

Deutsche Unternehmen verlagern inzwischen auch hoch bezahlte Jobs ins Ausland. Die Ursache dafür liegt in der fehlenden Orientierung des Managements auf Innovationen

Der grassierende Wille, den Gürtel enger zu schnallen, führt eine Volkswirtschaft in die Depression

Warum Unternehmen Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, dazu gibt es derzeit geteilte Ansichten: Je nach politischem Standort sind es hohe Lohnnebenkosten, die Globalisierung an sich oder mangelnde Vaterlandsliebe. Doch gleich welche Begründung genannt wird, die Absicht ist jeweils dieselbe: Jegliche Auslagerung und Rationalisierung dient dazu, abzuspecken und fit zu werden. Wie bei der Fitness scheinen dabei Glückshormone, Endorphine, frei zu werden.

Zugegeben, für manche Unternehmen mögen Rationalisierung und Auslagerung eine Frage des Überlebens sein. Dagegen sind viele im Management allein deshalb auf Abbau und Auslagern fixiert, weil es für sie nur diese Option zu geben scheint. Warum, so fragt man sich, sind sie hier so erfindungsreich und bei technischen oder sozialen Innovationen dagegen so fantasielos?

Es sind ja inzwischen nicht nur einfache Fließbandarbeiten, die ausgelagert werden. Siemens, Deutsche Bank, DaimlerChrysler und SAP verlagern in nennenswertem Umfang gut bezahlte Jobs in Forschung und Entwicklung nach Polen, Tschechien, China oder Indien. Die Verlagerung von Informatikaufgaben oder konstruktiven Leistungen von Ingenieuren und Architekten ist üblich. Sie sind erst die Speerspitze der neuen internationalen Arbeitsteilung.

Allerdings werden die schwer kalkulierbaren Koordinationskosten, die aus dem Outsourcing entstehen, oft unterschätzt. Dabei treten sie häufig auf, auch bei einfachen ausgelagerten Tätigkeiten, und können die Einsparungen durchaus wieder auffressen. Denn während die Lohndifferenzen leicht zu kalkulieren sind, gilt dies für Koordinationskosten nicht – sie stellen sich erst im Nachhinein heraus. Hinzu kommt: Die Erfahrungsvorteile der internen Mitarbeiter sind ein nicht zu unterschätzendes Kapital. Das soziale Gefüge innerhalb eines Unternehmens begünstigt den Wissensaustausch erheblich. Der Kontrollaufwand beim Outsourcing ist insbesondere bei kulturellen Unterschieden kaum planbar. Die Einhaltung gewohnter Qualitätsstandards ist eine weitere Unsicherheit. Ein zynischer Satz unter Softwareunternehmern lautet: „Für zwei indische Programmierer brauche ich einen deutschen Kontrolleur.“

Die häufig vom Management angeführte Beruhigung, beim Outsourcing des Wissens werde man ja nicht die Kernkompetenzen auslagern – also die Kompetenzen, die Werte generieren, schwer imitierbar sind und die besondere Kompetenz der Firma und damit einer Volkswirtschaft ausmachen –, ist ein riskantes Spiel. Erstens kann das nicht stimmen, wenn ganze Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ausgelagert werden. Und zweitens sind Kernkompetenzen nur schwer zu fassen und hoch dynamisch; sie entwickeln sich permanent weiter. Oft werden die Kernkompetenzen erst im Nachhinein, im Erfolgsfall sichtbar. Das scheinbar beruhigende Konzept der Kernkompetenzen zählt zu den unwägbarsten Mythen der Managementliteratur. Sie sind so nebulös wie das Loch Ness: Viele sprechen davon, aber keiner hat das Ungeheuer gesehen.

Volkswirtschaftlich wird das „Outsourcing des Wissens“ dann problematisch, wenn ganze Wissenskomplexe, zum Beispiel ganze Forschungseinrichtungen, hierzulande absterben und nicht mehr weiterentwickelt werden. Kompetenzen und Fähigkeiten werden aufgegeben. Unternehmen werden sie nicht von heute auf morgen wieder aufbauen können.

Berücksichtigt man zugleich die Übernahmeschlachten großer Unternehmen – zum Beispiel Aventis – und die damit einhergehende Konzentration von Forschungsbereichen sowie den Braindrain deutscher Forscher in die USA, so kommt ein Horrorszenario zum Vorschein: Wir sind dabei, die Forschungsinfrastruktur an wenigen Standorten in Europa zu zentralisieren beziehungsweise in den Osten, nach Polen, Indien oder China, zu verlagern und unsere intelligentesten jungen Leute in den Westen, an amerikanische Universitäten zu verschenken. So wird der Nährboden für das Wachstum von zukünftigen Kernkompetenzen woanders, nur nicht in Deutschland gelegt. Daraus könnte man nun schlussfolgern, dass wir uns so auch das Geld für Schulen und Universitäten zukünftig sparen können. Allerdings sollten wir uns dann Gedanken darüber machen, ob dieses Geschäftsmodell volkswirtschaftlich nachhaltig ist. Und dass unter diesen Bedingungen die von der Politik ausgerufene Innovationsstrategie nicht funktionieren wird.

Warum nur ist die Faszination für Abbau und Outsourcing beim deutschen Management so viel stärker ausgebildet als Wille und Kompetenz, technische und soziale Innovationen voranzubringen? Warum haben Forschungslabors in Deutschland Zukunftstechnologien wie Fax, MP3 oder Flüssigkristallbildschirme entwickelt, die woanders zu innovativen Produkten umgesetzt wurden? Und warum erleben zwei deutsche Weltkonzerne mit ihrer Maut-Innovation ein solch unglaubliches Desaster?

Fachexpertise wird man dem Management, oft besetzt mit studierten Betriebswirten und Ingenieuren, nicht absprechen können. Ihr Innovationsleitbild resultiert zuweilen aus Schumpeters Hypothese, dass in erster Linie Oligopole und Monopole Innovationen voranbringen. In Erinnerung ist auch Kondratieffs Wellentheorie, nach der sich Innovationen erst durch eine Basisinnovation zu einer kräftigen Welle entwickeln. Sie dauern zwischen 40 und 60 Jahre und gehen mit einem fundamentalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandel einher. Hat man diese Theorie zu seinem Leitbild verinnerlicht, so kann sich der Manager auf sein Surfbrett setzen und auf die nächste Welle warten.

Das beruhigende Konzept der Kernkompetenzen zählt zu den Mythen der Managementliteratur

Es scheint also grundsätzlich etwas mit der Ausbildung unserer Manager im Argen zu liegen. Es reicht nicht, Betriebswirte in den „Kernkompetenzen“ Rechnungswesen, Controlling, Marketing, Personalorganisation et cetera auszubilden. Damit sind sie gut gerüstet, in die Unternehmen auszuschwärmen und die Ausschüttung ihrer Endorphine zu fördern. Innovationen werden sie so nicht voranbringen.

Ein exemplarischer Blick in ein ökonomisches Standardwerk – Günter Wöhes „Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ in seiner 21. Auflage – zeigt, dass auf zwei von 1.200 Seiten das Wort Innovationen auftaucht, und zwar im Zusammenhang mit „Innovation bei Anleihen“ oder „Innovativen Finanzierungsinstrumenten“. Alle anderen Seiten sind dem Effizienzregime von Betrieben gewidmet.

Der grassierende Wille, überall den Gürtel enger zu schnallen, die Fixierung auf Verzicht und die Unfähigkeit, soziale und technische Innovationen zu gestalten, führen eine Volkswirtschaft in die Depression. Dies nicht im Zusammenhang mit dem Thema Innovationen, Bildungsmisere und Eliteunis anzusprechen, ist eine der Hauptursachen der deutschen Krankheit. ARNO ROLF