Das Gesetz der Serie

Die Industrie der Computerspiele traf sich zu ihrer Fachmesse „Electronic Entertainment Expo“: nur zehn Kilometer von Hollywood entfernt, und der Ort passte dieses Jahr besser als je zuvor

von KONRAD LISCHKA

Selbst die Warnung vor Neuauflagen kam als Neuauflage daher: Vor einem Jahr hatte der Vorsitzenden des Verbandes der US-Spielindustrie, Douglas Lowenstein, vor nachlassender Innovationskraft gewarnt, weil die Verlage sich „aus Sicherheitsdenken auf das Erprobte und Bewährte verlassen“. In diesem Jahr eröffnete Lowenstein die nunmehr neunte Fachmesse, deren Kürzel „E3“ in den Terminkalendern der Branche ganz oben steht, mit den Worten: „Innovation ist der Schlüssel zur Frage, ob die Industrie in den kommenden Jahren weiterhin wachsen wird.“ Nur: „Unternehmen gehen derzeit keine Risiken ein.“

Damit war das Hauptthema vorgegeben. Einerseits zerbrachen sich die Designer bei den Podiumsdiskussionen die Köpfe, wie mit innovativen Spielen neue Zielgruppen begeistert werden könnten. Andererseits waren auf der Ausstellungsfläche sehr viele Spiele zu Filmen und Fortsetzungen alter Titel zu sehen – und gerade die zogen am meisten Publikum. Diese Beobachtung kann man auf die gesamte Branche übertragen. Denn die E3 zählt zu Recht als wichtigste Veranstaltung für den weltweiten Markt. 62.000 Branchenvertreter aus 80 Staaten sahen 1.350 neue Titel. Gut vier Fünftel davon stehen bis Weihnachten in den Regalen der Händler. Finanzanalyst Stewart Halpern vom kanadischen Investmenthaus RBC Capital Markets hat sogar errechnet, dass in den vergangenen Jahren während der E3 die Aktienkurse der Spielverlage im Durchschnitt um 5,4 Prozent geklettert sind.

Ob das in diesem Jahr zu Recht geschieht – man kann es mit Douglas Lowenstein sicher bezweifeln. „Sims Online“, der mit knapp 20 Million Dollar Budget entwickelte Spitzentitel für ältere Gelegenheitsspieler, erweist sich bislang als Flop. Zumindest gemessen an den Erwartungen der gesamten Branche. Knapp 100.000 Abonnenten und Abschläge von bis zu 50 Prozent auf den Endverkaufspreis sprechen eine deutliche Sprache.

Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Die neuen Spieler erreichen“ fehlten den Gesprächspartnern denn auch die kühnen Thesen. Bing Gordon, Chief Creative Officer beim Branchenriesen „Electronic Arts“, stellte schlicht fest, es lohne sich nicht, mit speziellen Produkten für diese Menschen zu experimentieren: „Leute, die nicht spielen, sind schwer zu überzeugen. Es sei denn, sie sind ein „Herr der Ringe“-Fan und sehen Werbung für das Spiel. Der beste Weg, solche Nichtspieler zu gewinnen, ist es, dass Vielspieler ihre Lieblingstitel weitergeben.“ Stuart Moulder von Microsoft verlangte dann noch, man solle die emotionale Palette von Spielen erweitern: „Gewalt ist einfach, Humor ist einfacher als Liebe. Aber wir kommen dort noch hin.“

Doch in diesem Jahr wird das wohl nichts mehr. Denn jene Spiele, die bei der E3 am meisten Aufmerksamkeit bekamen, waren allesamt Fortsetzungen oder Lizenztitel zu Filmen. In den vergangenen zehn Jahren hat die „Doom“-Reihe des texanischen Studios „id Software“ 100 Millionen Dollar eingespielt – „Doom III“ kommt in diesem Jahr. Seit 1998 wurde mit auf dem Titel „Half Life“ basierenden Spielen 83 Millionen Dollar eingespielt – „Half-Life 2“ erscheint in den Vereinigten Staaten am 30. September. Um 25 Minuten Videomaterial aus dem Titel zu sehen, mussten Spieler am Stand des Grafikkartenherstellers Ati bis zu vier Stunden lang warten.

Obgleich sein „Sims Online“ floppte, haben die Einzelspieler-Versionen in den vergangenen drei Jahren dem Hersteller „Electronic Arts“ mehr als 400 Millionen Dollar Einnahmen beschert. Nach dem Gesetz der Serie war „Sims 2“ fällig: Die Grafik ist detaillierter, frei dreh- und zoombar – das ist die auffälligste Veränderung gegenüber dem ersten Teil. Weihnachten wissen auch die normalen Käufer mehr.

Eine Fortsetzung mit Charme ist die Neuauflage des Hits „Pirates!“, der einst für den legendären „C-64“ geschrieben wurde. Branchenveteran Sid Meier arbeitet nun auch offiziell wieder mit – alles in allem verspricht die E3 auf jeden Fall „ein Jahr der Fortsetzungen“, wie Steven Koenig, Analyst beim Marktforschungsunternehmen NPD Group, feststellt.

Matrix Kino

Neben Fortsetzungen entwickeln sich Filmlizenzen zum zweiten, vergleichsweise sicheren Modell für neue Spiele. Die Schauspieler Bruce Boxleitner, Cindy Morgan und Steven Lisberger – Stars des Films „Tron“ – warben auf der E3 für die Neuverfilmung und das parallel dazu entwickelte Spiel. Jada Pinkett-Smith, Darstellerin in „Matrix Reloaded“, warb für das Spiel „Enter the Matrix“ von Atari. Die Spiel- und die Filmbranche rücken immer näher zusammen: Der Spielverlag Atari schmiss zu „Enter the Matrix“ eine Party auf dem Gelände des Warner-Filmstudios, zu der Keanu Reeves und Marilyn Manson kamen. Der Titel könnte ein Wendepunkt für die Branche sein. Das Spiel erscheint fast zeitgleich mit dem Film – bislang gab es immer eine mehrmonatige Pause –, und die Regisseure waren zudem an der Entwicklung beteiligt. Atari-Geschäftsführer Bruno Bonnell ist sich sicher: „Nach diesem Jahr wird es keine Actionfilme ohne passendes Videospiel mehr geben.“

Atari hat schon längst das Blockbuster-Konzept der Kollegen vom Film übernommen: Die Zahl der neuen Titel sinkt, das Entwicklungs- und Vermarktungsbudget steigt. 2001 präsentierte Atari auf der Messe 80 Titel, voriges Jahr 65, in diesem Jahr nur noch 30.

Für Innovationen wird der Platz da knapp. Und doch gab es zumindest ein paar auch in Los Angeles zu sehen. Nintendos Stardesigner Shigeru Miyamoto zeigte sein Konzept für eine Neuauflage von „Pac-Man“. Es hat wenig mit „Doom III“ zu tun, verbindet vielmehr die neuen, vernetzten Spielformen genial mit der Grundidee des Klassikers: Ein Spieler übernimmt die Rolle Pac Man, er spielt über einen Gameboy Advance, der an eine Gamecube-Konsole angeschlossen ist. Drei andere Spieler kontrollieren jene Geister, die in der Urversion, von der Konsole gesteuert, Pac-Man durch die Labyrinthe jagten. Fängt nun in der Neuauflage einer der drei Spieler Pac-Man, werden die Rollen getauscht. Nur: Ob Nintendo aus diesem Prototyp je ein Spiel macht, ist ungewiss.

Aus Deutschland gab es auf der E3 erstmals ein – natürlich – neues Strategiespiel zu sehen. Das noch namenlose Produkt der Berliner Entwickler vom „Spieleentwicklungskombinat“ hat wenig mit den Handelsschiffen und Holzfällern zu tun, die sonst für teutonische Wertarbeit stehen: Man kämpft gegen Dinosaurier, schwimmt auf Riesenschildkröten und sammelt – natürlich – auch Rohstoffe ein.

Bei allen kleinen Lichtblicken verwundert es insgesamt wenig, dass als größte Innovation kein Spiel, sondern Hardware gefeiert wurde. Aber sogar die ist eigentlich nur eine Neuauflage: Sony will mit einer eigenen Gameboy-Variante – PlayStation Portable genannt – gegen Nintendo antreten. Gartner-Analyst P. J. McNealy sprach sogar von der dramatischsten Entwicklung hier, weil der ganze Rest hier so iterativ war – eine Fortsetzung hierzu, eine Fortsetzung dazu“. Bleibt nur abzuwarten, ob die Sony-Spiele sich überhaupt von den Gameboy-Titeln unterscheiden werden.

konradlischke@gmx.de