Zwischen zwei Welten

In Berufung war ein türkischer Vater vor dem Kieler Landgericht gegangen, weil er wegen Kindesentzug zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Nun wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt, das Kind fühlte sich wohl in der Türkei

Meine Schule, meine Familie, unser Dorf – die 13-jährige Fenja W. erzählt scheinbar gern von ihrem Leben in der Türkei. Dabei war sie nicht freiwillig am Schwarzen Meer: Ihr Vater, Muharrem K., soll sie gegen ihren Willen nach den Sommerferien 2007 dort behalten haben. Dafür wurde der 37-Jährige bereits zu drei Jahren Haft verurteilt und hat sich zur Tat bekannt. Bei der Berufungsverhandlung vor dem Kieler Landgericht ging es nun um das Strafmaß, das das Gericht angesichts der Umstände für zu hoch hielt.

Denn Fenja ist wieder zu Hause, ein Onkel brachte sie nach Kiel zurück. Laut Aussage bei der Polizei fand die 13-Jährige ihr Jahr in der Türkei nicht so schrecklich: Es klang ein wenig durch, dass die Kielerin ihren Status als einzige Ausländerin in der türkischen Schule ziemlich gut fand. Sie gab zu, dass sie ihrem Vater gesagt habe, sie wolle bleiben, ihrer Mutter, dass sie zurück möchte. „Ich kann mich nicht entscheiden“, sagte sie – hin und her gerissen zwischen den Eltern, den beiden Welten.

Die Mutter, Birgit W., beurteilt den Fall anders: Fenja sei psychisch angeschlagen, muss ein Schuljahr nachholen. Und es gibt Ungereimtheiten: So meldete K. seine Tochter unter anderem Namen in der Schule an, im neuen Pass tauchte als Konfession „Islam“ auf – Fenja ist evangelisch. Ganz klar wurde bei der Verhandlung nicht, warum K. das Mädchen nach dem Urlaub in der Türkei behielt. Er sagte, er habe Fenjas Wunsch erfüllt – doch gerade anfangs wollte sie zurück. Die Mutter, die das alleinige Sorgerecht hat, bestand auf schnelle Rückkehr: „Er hat mich immer wieder vertröstet“, sagte sie. Einige Zeit hatte sie keinen Kontakt zu Fenja – eine Zeit der Unsicherheit.

Zum Bild des Vaters, der nur bei seiner Tochter sein will, passt nicht, dass Muharrem K. im Dezember 2007 allein und illegal nach Deutschland reiste. Angeblich habe er die Lage mit Birgit W. besprechen wollen. K. beteuerte, Fenja sollte auf jeden Fall wieder nach Deutschland kommen, allerdings erst nach Ende des Schuljahres: „Eltern geben so viel Geld aus, damit ihre Kinder in Europa studieren – warum sollte ich sie in der Türkei behalten?“, sagte K. Dennoch ließ er Fenja bei seiner Lebensgefährtin.

Trotz dieser Unklarheiten entschied das Gericht, die Haft in eine Bewährungsstrafe umzuwandeln. Kontakt zur Tochter darf der Vater nur mit Genehmigung der Mutter haben. Birgit W. hatte auf ein anderes Urteil gehofft: „Ich habe Angst, dass er sie wieder holt“, sagte sie. Der Richter erklärte: „Wir können familienrechtliche Probleme nicht mit dem Strafrecht lösen.“

ESTHER GEISSLINGER