Adriano Sofri muss weiter in Haft bleiben

In letzter Minute ließen Berlusconis Parlamentarier die Begnadigung des linken Intellektuellen platzen

ROM taz ■ Die Hoffnungen auf eine schnelle Begnadigung Adriano Sofris haben sich vorerst zerschlagen: In der vergangenen Woche versenkten die regierenden Rechtsparteien in letzter Minute im italienischen Parlament einen zunächst auch von ihnen befürworteten Gesetzentwurf, der Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi die Möglichkeit gegeben hätte, den Gnadenakt auch gegen den Willen des Justizministers zu unterzeichnen.

Sofri sitzt seit Anfang 1997 eine 22-jährige Haftstrafe ab; als Chef der linksradikalen Organisation Lotta Continua soll er 1972 den Mord an dem Mailänder Polizeikommissar Luigi Calabresi in Auftrag gegeben haben. Sofri, der lediglich aufgrund der recht widersprüchlichen Aussagen eines Kronzeugen verurteilt wurde, hatte seit seiner ersten Verhaftung 1988 in den insgesamt 15 Prozessen, die sich bis zur endgültigen Ablehnung einer Revision bis ins Jahr 2000 hinzogen, immer seine Unschuld beteuert. Zugleich hatte er erklärt, er werde sich der italienischen Justiz nicht entziehen, aber auch kein Gnadengesuch einreichen, da dies einem Schuldeingeständnis gleichkomme. Einer seiner beiden Mitangeklagten dagegen hat in Paris Zuflucht gefunden, während ein zweiter wegen seines schlechten Gesundheitszustandes auf freiem Fuß ist.

Für den geachteten Intellektuellen, der weiterhin seine politischen Analysen in den wichtigsten Tageszeitungen des Landes publiziert, hatten sich in den vergangenen Jahren nicht nur Vertreter der Linken, sondern auch wichtige Protagonisten des Berlusconi-Lagers eingesetzt. Justizminister Roberto Castelli von der rechtsradikalen Lega Nord dagegen weigert sich, seine Stellungnahme zu einer Begnadigung Sofris an den Staatspräsidenten weiterzuleiten – damit liegt das Gnadenverfahren auf Eis.

Ein neues Ausführungsgesetz sollte da Abhilfe schaffen: Der Staatspräsident sollte das Recht erhalten, auch ohne Mitwirkung des Justizministers Begnadigungen auszusprechen.

Im Justizausschuss des Parlaments war dieser Gesetzentwurf problemlos durchgegangen – im Plenum dagegen stimmte die Rechte seine zentrale Passage nieder, wohl wissend, dass Sofri in der eigenen Wählerschaft eine Hassfigur ist. Berlusconi wäscht seine Hände in Unschuld: „Leider“ sei er kein Diktator und könne den Seinen nicht vorschreiben, wie sie abstimmen.

Darauf platzte selbst dem Berlusconi-Intimus Giuliano Ferrara, dem Chefredakteur des Berlusconi-Blattes Il Foglio, der Kragen: Er kommentierte, solche „Zerstreutheit“ leiste Berlusconi sich nur, weil es in dem Gnadengesetz nicht um seine persönlichen Interessen gehe.

MICHAEL BRAUN