Niemand soll vom Weg abkommen

Vierzehn junge Frauen gehen am Wochenende auf Moschee-Rallye. Ziel: Etwas über den Islam lernen. Die Fragen und die Route stehen in der Mappe, trotzdem fehlt die Zeit. Am Ende der „Interaktion“ bleiben die alten Vorurteile

Die Sozialpädagogik und ihre Bedeutung wird im Allgemeinen unterschätzt. Wer hätte gedacht, dass Mädchen und junge Frauen zwischen 14 und 31 am Samstag vor neun aufstehen? Dass sie in ein Bildungswerk fahren? Dass sie dort um zehn Uhr im Kreis stehen, um sich mit „einer für sie typischen Bewegung“ vorzustellen? Dass sie dann bis abends um sechs auf Moschee-Rallye gehen? Wer wäre da nicht skeptisch.

14 Mädchen und junge Frauen wollten am Samstag all das. Selbst die Organisatorinnen Katrin Oeser von der Heinrich-Böll-Stiftung und Sandra Abed vom Verein „inssan, für kulturelle Interaktion“ waren überrascht. Victoria zum Beispiel, 24-jährige Gender-Studies-Studentin, wollte „mal völlig in eine andere Welt abtauchen“. Und Nessa, auch 24 und Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung war, obwohl Islamwissenschaftlerin, noch nie in einer Berliner Moschee. Aisha ist 18 und heißt erst seit einem Monat so, da konvertierte sie zum Islam, zwei Wochen vor der Hochzeit mit einem Muslim. Ihre Eltern sehen es nicht gern, wenn sie ihr Kopftuch trägt. Hier soll es niemanden stören.

Drei Gruppen, drei Mappen, 40 Fragen und los. Die Moschee-Rallye ist keine richtige Rallye im eigentlichen Sinn, denn niemand muss die Moscheen suchen. Und wenn man ganz ehrlich ist, ist die Rallye noch nicht mal eine intellektuelle Selbsterkundungstour, die zu stellenden Fragen stehen auch alle in den Mappen. Erste Frage im islamischen Kulturzentrum an der Finowstraße: „Wer ist Träger der Moschee?“, dann: „Wer kommt vor allem in die Moschee?“ Ab der fünften Frage wird es interessant: „Wie findet ein islamisches Mädchen einen Partner?“ und „Welche Rechte und Pflichten haben Mann und Frau?“

Waffa, die Ansprechpartnerin der Rallyeteilnehmerinnen, antwortet, als würde Alice Schwarzer die Frauenquote verteidigen. Nur etwas sanfter. Die jungen Leute lernten sich über ihre Familien kennen, erklärt sie, aber das sei doch nur ein Angebot, wie in der Partnerschaftsvermittlung: „Zwingen ist verboten.“ Und was die Aufgabenverteilung in der Ehe angeht, sei ein gerechter Ehevertrag die beste Lösung. Wenn er nicht unterschreibt, sucht sie sich eben einen anderen. Nessa fand schon die Fragen nicht so dolle, dreimal hintereinander behält sie Widerspruch mühevoll bei sich, bevor sie fragt, was denn mit einer armen Familie mit sieben Töchtern sei.

Es könnte jetzt spannend werden. Aber es ist viertel vor zwölf und zum Mittagsgebet soll die Gruppe in der Mevlana-Moschee sein. Damit die muslimischen Mädchen eine der fünf Säulen des Islam nicht vernachlässigen müssen, über die die nichtmuslimischen in der Zwischenzeit etwas lernen sollen. Davor stehen sogar noch zwei andere Stationen in der Mappe. In der Endauswertungsliste steht unter „nicht gefallen“ am Ende vierzehnmal „Zeitmangel“.

Zum Schluss geht ein Ball rum und jede, die ihn in Händen hält, sagt noch mal etwas zum Tag. Nessa gibt zu, alles inhaltlich sehr reflektiert zu haben. Aisha weiß jetzt, dass sie „nicht wusste, dass die Mehrheit so schlecht über Muslime denkt“. Nancy aus Dresden sagt: „Jetzt sitz’ ich hier und habe Vorurteile wie vorher.“

In einer der Mappen steht am Ende unter der Frage „Inwiefern kann der Islam die europäische Kultur bereichern?“ in Kritzelschrift: „Ist schon längst passiert.“ Die Organisatorin bedankt sich für die Offenheit und die Interaktion – Sozialpädagogik in ihrer reinsten Form. Die Mädchen wollen sich trotzdem wieder treffen. MAREKE ADEN