Von Weinreben unter Palmen

Der zweite Teil der taz-Serie „Polen in einem Tag“ führt in die Stadt Zielona Góra. Sie ist kulturelles Zentrum des Lebuser Landes und wirbt mit ihrer deutschen Vergangenheit – dem Weinanbau

von UWE RADA

Es gab Zeiten, da muss diese Stadt im Dauerrausch gewesen sein. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts, berichten Chronisten, hat man den Weingenuss in der niederschlesischen Weinstadt Grünberg nicht nach Schoppen oder Quarten abgerechnet, sondern nach den Stunden, die man in der Schenke zugebracht hat.

Weinstadt ist Zielona Góra, wie Grünberg seit 1945 heißt, auch heute noch. Im politischen und kulturellen Zentrum der Woiwodschaft Lebuser Land ist die Weinrebe allgegenwärtig: auf Postkarten, auf Veranstaltungsplakaten, in Form von Skulpturen in den Parks.

Und in der Weinabteilung des Museums in der Aleja Niepodłegości. Der Leiter des Museums, Andrzej Toczewski, hat bei der Künstlerin Dorota Komar-Zmyślony sogar einen Gemäldezyklus mit dem Titel „Ein Jahr im Weinberg“ in Auftrag gegeben. Seitdem kann man im Museum sehen, wie der Weinanbau den Takt einer Stadt vorgeben kann: Vom Schneiden der Weinreben im Januar über die Ernte im September und Oktober bis zum Genuss des guten Tröpfchens in den kalten Wintermonaten. So ging das in Grünberg bis ins 18. Jahrhundert hinein. Wein aus Grünberg, das war nicht nur Wein aus einer der nördlichsten Anbauregionen Europas. Das war auch eine regelrechte Industrie. 2.200 Weinberge mit einer Anbaufläche von 700 Hektar Weinberge umgaben die idyllisch gelegene Stadt. 48 Weingärtnermeister überwachten die Reifung der Trauben, die Ernte und die Winzerei.

Und sie beobachteten, wie die Weinanbaukultur schließlich ihren Niedergang nahm. „Drei Dinge waren dafür ausschlaggebend“, sagt der Lokalhistoriker Krzysztof Garbacz: „Das kälter werdende Klima, der Bau von Eisenbahnen, die die besseren Moselweine nach Schlesien brachten, sowie der Siegeszug des Bieres im 18. Jahrhundert.“

So ist es kein Wunder, dass der Wein heute nur noch den Takt der Stadtmarketingleute angibt, aber nicht mehr den der Stadt. Von den 2.200 Weinbergen ist nur einer übrig geblieben. Ein Schauweinberg sozusagen, im Weinbergspark südlich der Altstadt. Dass dieser Weinberg zum unbedingten Muss eines Besuches in Zielona Góra gehört, liegt aber nicht nur an den Rebstöcken, die man sicherheitshalber ordentlich eingezäunt hat. Es liegt auch an der „Palmarnia“, dem Palmenhaus, das man schon von weitem sehen kann.

Bereits in den Sechzigerjahren hatte man das alte Winzergebäude auf dem Weinberg um die riesigen Gewächshausanlagen ergänzt. Seitdem hat sich zur Exotik des Weinanbaus aus nördlichen Landen die einer veritablen Palmenlandschaft gesellt, unter der es sich bis in die Nacht hervorragend speisen lässt. Von der „Palmarnia“ aus kann man auch sehen, dass es schon zu Grünberger Zeiten ein Wirtschaftsleben neben dem Wein gab. Am Fuße des Weinbergs stehen die riesigen Hallen der ehemaligen Wollfabrik, die Grünberg einmal zu einem der Zentren der Textilindustrie gemacht hat. Diese Entwicklung wurde von den polnischen Behörden seit 1945 vorangetrieben. Zielona Góra wurde damit zu einem der polnischen Wirtschaftszentren in den ehemals deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße. Und es wurde zu einer geradezu explodierenden Stadt. Lebten zu deutschen Zeiten einmal 30.000 Einwohner in Grünberg, zählt Zielona Góra heute 120.000 Einwohner.

Inzwischen ist Zielona Góra von einer großen Stadt auch zur Großstadt geworden, man merkt es an allen Ecken und Enden, in den Gassen der teilweise wunderschön restaurierten Altstadt, auf dem Marktplatz, in der mondän angelegten Aleja Niepodłegości. Überall kann man sehen, dass Zielona Góra eine junge Stadt ist. Über 40 Prozent der Bewohner sind erst zwischen 17 und 30 Jahre alt. Und sie bevölkern wie selbstverständlich die Cafés und Bierkneipen, die Bänke in den Parks, die Einkaufsstraße der „Helden der Westerplatte“.

Verstärkt wurde diese demografische Entwicklung noch dadurch, sagt Krzysztof Garbacz, „dass 2002 die Universität gegründet wurde“. Neben Szczecin, Poznań und dem Collegium Polonicum in Słubice ist die „Uniwersytet Zielonogórski“ eines der wichtigsten Wissenschaftszentren der polnischen Seite des Grenzlandes.

Und es hat wie kaum eine andere Stadt im Grenzgebiet den Tourismus entdeckt. Am Rathaus, am Weinberg, vor dem Lebuser Theater, überall findet man Hinweistafeln auf Polnisch, Deutsch, Russisch, Englisch und Französisch. Mittlerweile gibt es 14 Hotels in der Stadt, zahlreiche Campingplätze, Tourenangebote für Radwanderer. In Zielona Góra ist man sich der Schönheit der Stadt bewusst und hat begonnen, Kapital daraus zu schlagen.

Nur eines kann man nicht. Den Wein vom einzig verbliebenen Weinberg trinken. Weder im Restaurant in der „Palmarnia“, noch in den Kneipen der Altstadt. Man kann ihn weder in den Touristenläden noch im postmodernen Einkaufszentrum „Pawel & Piotr“ kaufen. Aber vielleicht ist das ganz gut so. Einer der Chronisten aus der goldenen Zeit des Weines berichtet nämlich: „… aber der Grünberger ist noch sehr viel ärger. Lass ihn nicht deine Wahl sein, gegen ihn ist der Saalwein noch viel süßer als Zucker. Er ist ein Wein für Mucker.“

Abfahrt mit der Bahn 6.45 Ostbahnhof, umsteigen in Rzepin, Ankunft Zielona Góra: 10.08 Uhr. Zurück geht es um 18.35 Uhr. Ankunft Berlin: 22.15 Uhr. Nächste Woche: Kunstszene in Poznań