Wenn die Flasche dreht

Bekehrung zum Coca-Cola-Kapitalismus: Am HAU-Theater feiert die Komödie „Eins, zwei, drei“ Wiederkehr als wildes Verkleidungsspiel. Vom ideologischen Konflikt ist nichts mehr geblieben

VON KATRIN KRUSE

Am Anfang steht der Tanz mit der Flasche. In formschönem Freistil wirbelt und gleitet der Assistent Schlemmer mit der colaflaschenförmigen Luftmatratze umher. Das Ding kann schweben und fallen, zeigt er, und schließlich stampft er es ein, zu einem faltigen Plastikhaufen.

Ist Coca-Cola also etwas, von dem man sich gewaltsam befreien muss? Da täuscht das Entree. Denn in Matthias Matschkes und Johannes Greberts Inszenierung von „Eins, zwei, drei“ am Hebbel am Ufer (HAU) ist Coca-Cola nicht Ideologie, sondern Gegebenheit. Sie ist einfach da.

Der Autor Ferenc Molnár hatte seine Komödie einst in einer nicht definierten europäischen Großstadt spielen lassen, Billy Wilder verlegte sie in seinem gleichnamigen Film ins Westberlin des Jahres 1961. McNamara ist dort Chef der deutschen Niederlassung von Coca-Cola und hat ein klares Ziel: Er will den „Londoner Posten“, also Chef der europäischen Zentrale werden.

Der Weg nach London aber führt über den Ostblock. Die Kontakte sind geknüpft, die Männer der russischen Handelskommission vom „blonden Fräulein“ Ingeborg, der Sekräterin McNamaras, bezaubert. Da kommt ein Anruf aus den Vereinigten Staaten: Scarlett, die Tochter des Vorgesetzten Hazeltine, ist auf dem Weg nach Berlin. Wohnen soll sie bei McNamara. Doch wenn Daddy meint, Berlin sei die ideale Stadt, um „Toni, den Tankwart“ zu vergessen, ist das weit gefehlt. Scarlett wird schwanger, heiratet den Ostberliner Kommunisten Otto Ludwig Piffl, und McNamaras Londoner Posten rückt in weite Ferne. So bleibt ihm nur eins: aus dem überzeugten Kommunisten einen Kapitalisten zu machen – so weit die Story.

Auch in der Inszenierung am HAU schreibt man das Jahr 1961. Der Zuschauerraum ist nun Bühne geworden, die Ränge und Fahrstühle vervollständigen das Bühnenbild. Nach „Preiset!“ an der Schaubühne ist „Eins, zwei, drei“ die zweite gemeinsame Inszenierung der beiden Bühnen. Da ist eine großartige Andreja Schneider, Mitglied der „Geschwister Pfister“, in der Doppelrolle als Phyllis McNamara und Fräulein Ingeborg. Da ist Judith Engel in der Rolle des bauchfreien Glitter-Girlies Scarlett Hazeltine, sowie die grandios irren Ausbrüche des Assistenten Schlemmer, gespielt vom Kabarettisten Kurt Krömer. Und da ist Matthias Schweighöfer als Otto Piffl, der ein wenig tumb sein darf und der als Einziger, vom Spot im Nebel beleuchtet, von Überzeugungen spricht.

Man jagt sich im Kreis, spielt ein wildes Verkleidungsspiel oder baut das Brandenburger Tor aus großen weißen Steinen nach, im Miniaturformat. Das ist bisweilen lustig. Vor allem aber bleibt das Stück seltsam in der Schwebe.

Die „Eins, zwei, drei“-Verfilmung von Billy Wilder ist eine feste Größe im bundesrepublikanischen Bewusstsein. Jeder kennt sie oder zumindest seine „Idee“: sich „über Ideologien lustig zu machen“. In den Zwanzigerjahren funktionierte das gleichnamige Stück des Autors Ferenc Molnár, das als Vorlage diente, noch als reine Verkleidungskomödie: Wie aus einem Arbeiter ein Edelmann wird. Und als Billy Wilder drehte, sagt HAU-Regisseur Johannes Grebert, hatte er „Rückenwind durch die politische Situation“. Was zunächst einmal verwundert: Denn kam Billy Wilder nicht der Mauerbau dazwischen, womit aus der Komödie unversehens eine Tragödie geworden war? Als „Eins, zwei, drei“ in die Kinos kam, konnte über eine Satire auf den Kalten Krieg niemand mehr lachen: Der Film war ein Flop. „Was uns das Herz zerreißt, das findet Billy Wilder komisch“, hieß es damals in der BZ. Das klingt eher nach Gegenwind.

Doch der Rückenwind, das waren das Zeitalter der Ideologien: Fronten, die ebenso klar zu trennen wie zu benennen waren. Aber wie kann man „Eins, zwei, drei“ heute inszenieren? Wie Gegenspieler, die keine mehr sind?

In Wilders Verfilmung konnte James Cagney noch ausgiebig über die Wahl der richtigen Manschettenknöpfe dozieren. In der HAU-Inszenierung bleibt dem Untergebenen eine knappe Viertelstunde für die Umerziehung. Die Verwandlung vom Idealisten zum Pragmatiker erfolgt im Handumdrehen. Ein vorzeigbarer Schwiegersohn, das ist „ein Südstaatengentleman mit adretter Gesinnung und einem guten Cha Cha Cha“. Also zieht man den Widerstrebenden aus und an, lehrt ihn den Tanz und ein paar markige Unternehmersätze.

Sie hätten Coca-Cola im Sinne Andy Warhols verstanden, als „demokratische Erfahrung“, sagen die beiden Regisseure. Der Kapitalismus sei eben kreativ: „Irgendso ein Apotheker in Atlanta erfindet koffeinhaltige Limonade“, und plötzlich ist Coca-Cola überall.

Da klingt keine Global-Player-Kritik an, kein No-Logo-Vokabular. Sie hätten eben genug von Ideologiekritik und Political Correctness, sagen die Regisseure. Damit sind sie sicher nicht allein. Nur ist es an der Stelle dessen, wovon man genug hat, noch etwas mau.