Weinen. Kochen. Büchern

Kiez Cuisine I: Die Kreuzberger Bergmannstraße bietet keinen Schnickschnack, sondern faire Preise und internationale Vielfalt, die in Berlin ihresgleichen sucht. Ein kleiner kulinarischer Spaziergang

Kulinarischscheint sich derKiez immer weiterauszudehnen

von STEFFEN GRIMBERG

Wer sich in letzter Zeit durch die kulinarischen Wegweiser von Berlin fraß, fand sich ziemlich schnell in ziemlich teuren Etablissements wieder. Und dann auch noch ganz überwiegend in Mitte. Dabei schlägt eines der vielen kulinarischen Herzen von Berlin viel unspektakulärer, aber dafür lauter, klar südlich des Landwehrkanals: in und um die Kreuzberger Bergmannstraße.

Der Magen dieses Kiezes ist natürlich die Marheineke Markthalle. Mit ihren hervorragenden Ständen für italienische und spanische Spezialitäten, dem am Wochenende stets überfüllten Biofleischer und einem der wenigen ernst zu nehmenden Geflügelhändler Berlins. Und, auch das gehört dazu, den Auslagen des Tierfutterhändlers – Frischfleisch für Vierbeiner, getrocknete Schweineohren inklusive. Wem das an Geruchs- und sonstigen Eindrücken beim morgendlichen Einkauf zu viel wird, kann sich gleich hinten dran im Gasthaus Dietrich Herz erste Hilfe zuteil werden lassen, Schnaps zum Beispiel. Oder eines der vielen extrem günstigen, eher rustikalen Morgenhäppchen: Es muss ja nicht sofort das Hackepeter-Frühstück mit seinen Fleischbergen sein. Noch Fragen?

Doch auch im Hinterland der Halle hat sich einiges getan. Natürlich ist das Austria noch am alten Platz, doch knapp davor liegt im Osten der Bergmannstraße das Norden (Bergmannstr. 31). Der Name ist Programm – und Labskaus endlich im Kiez angekommen. Apropos Fisch & Co.: Die Betreiber der Pagode (88) haben mit der stets gerechtfertigten Beliebtheit ihrer Thai-Genüsse auch immer wieder satt die Preise erhöht, dafür jetzt aber zusätzlich noch eine Sushi-Werkstatt ein Haus weiter eröffnet (Sumo, 89). Und auch beim Kaffee danach hat man nun die Qual der Wahl: Gegenüber zu Barcomi’s (21), der Edelrösterei? Oder doch auf derselben Straßenseite bleiben und in der noch recht jungen Espresso-Lounge (92), die im Gegensatz zu anderen Kaffeetempel angenehm unamerikanisch daherkommt, hübsch erhöht den Flaneuren ins Einkaufskörbchen lugen?

Kulinarisch jedenfalls scheint sich die Bergmannstraße immer weiter auszudehnen: Wo sonst findet sich Himalaya- (Tibethaus, Zossener Str. 19), afrikanische (Sesam, 96) und brasilianische Küche (Café do Brasil, Mehringdamm 72) auf so engem Raum? Wörtlich genommen mit der Expansion hat’s auch das Knofi (11/98): Der Traditionsladen für leicht überteuerten Mittelmeer-Genuss firmiert mitlerweile auf beiden Straßenseiten, hüben gibt es Obst und Gemüse, drüben Eingelegtes und den ganzen Rest. Kurz davor geht es am Samstag links die Schenkendorffstraße hoch zum Biomarkt auf dem Chamisso-Platz.

Vielleicht, weil sich auf der Bergmannstraße so viel ums Essen dreht (und um Schuhe, aber das ist eine andere Geschichte), gibt es auch noch das Pendant zum Tante-Emma-Laden, hier allerdings von einem freundlichen Edeka-Onkel (4) geführt (Spezialität rattengünstige Brötchen mit Parmaschinken), und der ohenhin ein kleines Paradies in Sachen Schinken und Salami ist. – Messer zur Wurst vergessen? Macht nichts, allerdings muss man jetzt wieder ein Stück zurück: Der Holzapfel (25) bietet Schneidewerkzeug aller Art, vom Vollkeramik-Profikochmesser bis zur Edelstahlsäge für den ersten selbst erlegten Walfisch.

Dass Weinfreunde in diesem Kiez auf ihre Kosten kommen – die Luftline von Laden zu Laden beträgt selten mehr als 200 Meter – versteht sich da von selbst. Der Segen fängt mit der Vineria-Enoteca Bacco an der Markthalle an. Weiter geht’s dann die kurze Strecke zum Weing’schäft, dass seine zechfreundliche Herkunft schon im Namen trägt. Dann heißt es tatsächlich mal ein paar Meter durchhalten – vielleicht eine kurze Einkehr ins Café Milagro (12)? Egal, links hoch, Nostizstraße, und hinein ins Vino Grasse. Dessen Konzept ist so wunderbar wie selten: Weine und Kochbücher. Wie im Name angedeutet, überwiegend in Richtung Italien. Dazu serviert der Inhaber Espresso, verwickelt aufs Angenehmste ins Gespräch über Koch- und andere Bücher – und schon wieder sind zwei Stunden um.

Weiter also, die paar Meter zurück auf die Bergmannstraße und dann nach schräg rechts gegenüber, ab durch die Einfahrt (106) und hinein ins eher unscheinbare Weinlager Bal. Drinnen geht die Sonne auf: Spanien in Flaschen, kein Schnickschnack und faire Preise für Rioja in der 1,5-Liter-Buddel. Nach rund zweiminütigem Fußmarsch ist man sofort im Rebgarten (112, Mo.–Fr. nur nachmittags geöffnet), zurückhaltend im Souterrain gelegen: Eine der besten Adressen für biologische Weine, mit einem Angebot von ganz lieb zum Portemonnaie bis zu schwer beeindruckenden Extravaganzen.

Dann steht der kulinarische Kiezwanderer plötzlich am Mehringdamm. Was nun? – Rüber natürlich, denn hier warten noch zwei heimliche Höhepunkte Kreuzberger Kulinarik: Zum einen geht die Bergmann- nun als Kreuzbergstraße in die Verlängerung. Und hier liegt die Osteria No 1. Alteingesessen, italienisch – und einfach gut.

Und dann ist da noch das Kaiserstein. Seit Kurzem präsentiert sich das Haus am traditionsreichen Platze – Wilhelm I. kletterte hier aufs Pferd – in heimeligem Rotgold. Der alte, etwas zu helle Ton ist weg, die Küche von den fulminanten Frühstücken bis zum einfallsreichen Crossover der Abendkarte aber noch eine Spur anspruchsvoller geworden, ohne mit abgedrehten Albernheiten auf die Nerven zu gehen. Rinderfiletsstreifen in einer dunklen Schokoladensauce passen nämlich wirklich zusammen, und auch für weniger Wagemutige gibt’s die volle Auswahl. Und unter der Woche sogar Mittagstisch zum Mittagspreis. Für den Drink am Abend bietet sich weiterhin der niedliche Clubsesselbereich vor der Bar an – mit der Auswahl an Whiskys und überdurchschnittlichen Cocktails eine der besten Adressen weit über den Kiez hinaus.