Algerien vor dem zweiten Schlag

Die Armee hat die Entführer der noch verschleppten Sahara-Touristen im Gebirge umstellt. Bei der ersten Gruppe dauerte die Einkesselung allerdings zwei Wochen

Unter den getöteten Entführern war angeblich mindestens einer aus Jemen

MADRID taz ■ Die algerische Presse war sich gestern sicher: Nach der Befreiung von 17 der 32 verschleppten Touristen in der Sahara durch die Armee steht die Befreiung der restlichen 15 Geiseln unmittelbar bevor. „Ein Angriff scheint sich abzuzeichnen“, schrieb Le Quotidien d’Oran unter Berufung auf Reiseveranstalter in der Sahara. Die Gruppe aus zehn Deutschen, vier Schweizern und einem Niederländer wird angeblich im Tamelrik-Gebirge bei Illizi festgehalten. Das unzugängliche Gelände ist seit Wochen von der Armee abgeriegelt.

Falls das Militär tatsächlich eine zweite gewaltsame Befreiungsaktion plant, ist schnelles Handeln wichtig. Denn keiner weiß, was passiert, wenn die Entführer vom Tod ihrer Komplizen bei der ersten Aktion erfahren.

Nahe Amguid, wo am Dienstag die ersten 17 Geiseln befreit wurden, gingen nach Angaben der Tageszeitung El Watan die Auseinandersetzungen zwischen den Entführern und den Spezialeinheiten der Armee auch hinterher weiter. Das Blatt, das am Mittwoch als Erstes die Nachricht über die erfolgreiche Militäraktion verbreitet hatte, berichtet, dass die Soldaten drei bis fünf Entführer eingekreist haben. Vier weitere seien bei der Geiselbefreiung ums Leben gekommen. Auch aufseiten der Armee seien mindestens ein Toter und zwei Verletzte zu beklagen.

Unter den getöteten Entführern, die den „Salafistischen Gruppen für Predigt und Kampf“ (GSPC) des Islamistenführers Hassan Hattab angehören, befänden sich auch Kämpfer, die aus dem Norden Algeriens in die Sahara gereist sind. Außerdem sei mindestens ein Jemenit darunter. Sollte sich dies bestätigen, wäre das ein weiterer Hinweis auf die Verbindungen zwischen den GSPC und al-Qaida. Bereits im vergangenen September war bei einer Schießerei zwischen Islamisten und Armee ein Jemenit getötet worden. Es handelte sich dabei um den regionalen Abgesandten von Ussama Bin Laden.

Auch im Norden Algeriens setzt die Armee der GSPC zu. Seit Tagen durchkämmen Spezialeinheiten die Wälder und Berge bei Boumerdes, 50 Kilometer östlich der Hauptstadt Algier. Dabei wurden mehrere bewaffnete Islamisten getötet.

Unterdessen haben die befreiten Touristen begonnen, von ihren Erlebnissen zu berichten. „Es kam mir ein deutsches Geländeauto entgegen, ein Touristenauto, und wir fuhren gegenseitig aufeinander zu … Als ich bei dem Auto stehen blieb, sprangen sofort acht Terroristen raus, hielten uns die Kalaschnikows vor die Nase, und wir mussten uns sofort zu Boden werfen. Und sie rissen uns den Autoschlüssel aus den Händen“, erinnert sich einer der Österreicher in einem Interview mit RTL an seine Entführung. Die Gruppe sei ständig verlegt worden. „Wir sind ohne Licht in der Nacht gefahren … Sie spürten, dass das Militär ihnen auf den Fersen ist.“

Tatsächlich war die GSPC-Gruppe bereits zwei Wochen lang eingekesselt, bevor der Angriff der Armee in Amguid stattfand. „Man baute auf die Müdigkeit, die klimatischen Verhältnisse und auf das Fehlen von Lebensmitteln und Wasser“, heißt es in El Watan. Die gleiche Strategie könnte jetzt bei den Entführern der noch verbleibenden 15 Geiseln zur Anwendung kommen. REINER WANDLER