Terrorangst!?

Die Bedrohung durch den Terror hat die Köpfe der Europäer erreicht. Oder nicht? Zwei Impressionen aus Großbritannien und Italien sowie ein Interview mit dem Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter

LONDON, GROSSBRITANNIEN

„Natürlich sind wir die nächsten“, sagt Breda Wolff. Und sie weiß auch, wo es passieren wird: „In der U-Bahn. Die kann man gar nicht schützen. Man braucht nicht mal einen Selbstmordattentäter, um ein Blutbad anzurichten. Wenn eine Bombe explodiert, während sich die U-Bahn im Tunnel unter der Themse befindet, dann gute Nacht.“

Wolff, 54, lebt in London und ist eine rundliche Krankenschwester mit kurzen blondgefärbten Haaren und schweren Ohrringen. Sie nimmt jetzt häufiger den Bus, wenn es nicht gar zu umständlich ist. „Ein Doppeldeckerbus ist kein sonderlich attraktives Angriffsziel“, hofft sie. „Es passen viel weniger Leute hinein als in die U-Bahn.“

Die hat mehr als drei Millionen Passagiere täglich. Die Polizei hat in den U-Bahnhöfen große Plakate geklebt: „Wem gehört diese Tasche? Falls sie dir verdächtig vorkommt, melde es!“ Verteidigungsminister Geoff Hoon hat die Nation aufgerufen, die traditionelle „britische Reserviertheit“ zu überwinden und mit den anderen Passagieren zu sprechen, falls einem etwas nicht geheuer ist. Die Einstellung, dass man die Polizei lieber nicht stören solle, sei in Zeiten des Terrorismus fehl am Platz. Andererseits ist die Polizeieinheit, die für öffentliche Verkehrsmittel zuständig ist, hoffnungslos unterbesetzt. In London gibt es lediglich zwei Spezialfahrzeuge, die verdächtige Pakete untersuchen können.

Was aber, außer einer herrenlosen Tasche, ist sonst noch verdächtig? „Manchen Leuten reichen doch schon zwei Turbanträger, die arabisch sprechen“, meint Wolff. „Ich möchte jetzt kein Muslim in London sein. Bei der Angst vor Anschlägen, die nach Madrid herrscht, wird es ständig Alarm geben, London wird nun öfter lahm liegen. Aber das hat man Tony Blair ja schon vor dem Irakkrieg prophezeit.“

Wolffs Freundin heißt Peggy Gordon und stimmt ihr nicht zu. „Es ist doch vollkommen egal, ob ein Land am Irakkrieg teilgenommen hat oder nicht“, sagt sie. „Den Franzosen hat ihre Antikriegshaltung auch nichts genützt, die Islamisten haben ihnen trotzdem einen Öltanker in die Luft gesprengt.“

Gordon gehört der Labour Party an, in ihrem Ortsverband organisiert sie manchmal Quizabende, um die Parteikasse aufzubessern. „Mir sind die altmodischen Terroristen lieber. Bei der IRA oder der ETA wusste man wenigstens, woran man war.“ Gordon lebt in Surbiton in der Grafschaft Surrey, eine halbe Stunde mit dem Zug vom Londoner Bahnhof Waterloo entfernt. Hier fährt auch der Eurostar nach Paris und Brüssel ab. „Ein klassisches Angriffsziel“, glaubt Martin McConnell, der jeden Tag über Waterloo zu seinem Arbeitsplatz, einer Bank in der Innenstadt, fährt.

„Aber was soll man machen? Zu Hause bleiben? Dann hat al-Qaida gewonnen. Am besten denkt man gar nicht drüber nach.“ RALF SOTSCHECK

ROM, ITALIEN

Die Kunden am Gemüsestand sind sich einig. Natürlich, hier in Rom könne es genauso zu blutigen Attentaten kommen wie in Madrid. „Wir sind schließlich auch im Irak“, meint die distinguierte Dame, und der Verkäufer setzt nach: Mehrfach seien doch auch in Italien schon „marocchini“ verhaftet worden, Marokkaner, die für al-Qaida aktiv waren. Schutz? „Machen wir uns nichts vor. Die U-Bahn, die Stazione Termini, die Sehenswürdigkeiten, wo sich tausende Touristen sammeln – wer will das denn effektiv schützen?“ Und doch bleibt die Sorge merkwürdig kühl. „Theoretisch sind wir jetzt auch bedroht“, fasst eine Hausfrau zusammen – noch ist die Furcht ins Reich der Theorie verbannt.

Noch hat es eben Italien selbst nicht getroffen, noch liegt Madrid in einem anderen Land. Mit dem Anschlag vom vergangenen Donnerstag kam der Terror näher – angekommen ist er noch nicht.

Dazu mag beitragen, dass in Rom die sichtbaren Zeichen für die neue Bedrohungslage fehlen. In den engen Straßen des barocken Zentrums lassen sich eben keine Betonwälle, keine Stacheldrahtverhaue auftürmen. Der Sitz des Ministerpräsidenten zum Beispiel, Palazzo Chigi, hat an seiner Flanke einen 50 Zentimeter breiten Bürgersteig, und auch Berlusconis Privatpalais liegt an einer viel befahrenen Straße, an der für Schutzvorrichtungen einfach kein Platz ist.

Die Wachen, die am Tor stehen, sind nichts Neues: Seit den Siebzigerjahren, seit dem Rote-Brigaden-Terror, gehören sie in Rom zum Stadtbild. Bleibt eine stärkere Präsenz von uniformierten Streifen auf Bahnhöfen und Flughäfen, in Zügen und U-Bahnen. Die Regierung spricht von insgesamt 9.000 potenziellen Anschlagszielen, die sie mit 12.000 Mann unter Kontrolle halten will. Wie das gehen soll, sagt sie nicht. Und neue Ziele sollen jetzt auf die Liste: Kinos, Theater, Kirchen, all die „soft targets“ eben. Dass die Sorge der Römer sich noch in Grenzen hält, liegt nicht zuletzt an den Medien. Auf den hinteren Seiten der großen Tageszeitungen gibt es die eine oder andere Bedrohungsanalyse. Aber in den TV-Nachrichten – aus denen sich die große Mehrheit der Bevölkerung exklusiv informiert – ist die Frage weitgehend tabu. So brachte das TG2 – die Nachrichtensendung des zweiten Kanals der RAI – am Montagabend einen 15-Sekunden-Bericht, der im Blitzdurchgang, bebildert mit über Roms Zentrum kreisendem Helikopter, mit patrouillierenden Polizisten, über die Bedrohung Italiens sprach.

Gleich darauf wurde das Romanautoren-Team Lapierre-Collins zum Interview gebeten. Ausführlich wurden die beiden Herren zu ihrem neuen Roman befragt. Da geht es um Islamisten-Terror der härtesten Sorte, um die Drohung, eine Atombombe zu zünden. Aber der Terror findet eben bloß als Fiction statt, und ganz weit weg: in New York.

MICHAEL BRAUN