In der Wüste gedeiht der Terror

Ob Frankfurt, London oder Barcelona – wenn in Europa die Polizei mutmaßliche Al-Qaida-Zellen aushebt, stammen die meisten Verhafteten aus Algerien

von REINER WANDLER

„Die große Schweigende“, wie die Algerier ihre Armee nennen, spricht. Nach der Befreiung von 17 der 32 Geiseln bestätigte der Generalstab gestern in Algier gegenüber der Nachrichtenagentur APS, was viele längst vermuteten: Die zum Teil seit drei Monaten im Dreieck zwischen Ouargla, Djanet und Tamanrasset verschwundenen Wüstenfahrer waren bzw. sind nach Auffassung der Militärführung in der Gewalt der radikalen Salafistischen Gruppen für Predigt und Kampf (GSPC) von Hassan Hattab.

Algeriens Presse hatte die Verantwortlichen für die Entführungen von Anfang an in diesen Kreisen gesucht. Der lokale Führer der GSPC in der Wüste heißt Mokhtar Belmokhtar. Der Schmugglerkönig, der sich der GSPC von Hassan Hattab angeschlossen hat, operiert seit Jahren im Grenzgebiet zwischen Algerien, Libyen, Niger und Mali. Der „Warlord“ lebt vom Handel mit Zigaretten, Autos, aber auch Waffen. Die liefert er an Hattabs Truppen im Norden. Belmokhtars Männer sind gut ausgerüstet und bewegen sich in mit schweren Maschinengewehren bestückten Geländewägen im menschenleeren Grenzgebiet.

Seit es vor kurzem auf der Straße von Algerien nach Mali zu einer Schießerei kam, befinden sich algerische Fahnder auch im Nachbarland, um dort zusammen mit einheimischen Polizeikräften Belmokhtar ausfindig zu machen. Der hatte erstmals vor zwei Jahren international Schlagzeilen gemacht, als seine Drohungen bewirkten, dass die Rallye Paris–Dakar verlegt wurde.

Die GSPC, zu denen Belmokhtar gehört, spalteten sich 1998 von den Bewaffneten Islamistischen Gruppen (GIA) ab. Salafisten-Chef Hattab kritisierte die Massaker an Zivilisten, mit denen die GIA zur trauriger Berühmtheit gelangten. Die GSPC, deren Operationsgebiet sich von der Berberregion Kabylei, 100 Kilometer östlich der Hauptstadt Algier, bis fast an die tunesische Grenze erstreckt, richten ihre bewaffneten Aktionen hauptsächlich gegen die Sicherheitskräfte und gegen Vertreter der Institutionen.

Anfang des Jahres gelang ihnen einer der spektakulärsten Angriffe auf einen Militärkonvoi seit 1992, als die Armee die ersten freien Wahlen in Algerien abbrach und die Islamische Heilsfront (FIS) verbot. 430 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Algier geriet eine Eliteeinheit der Fallschirmspringer in einen Hinterhalt der Salafisten. 43 Militärs kamen dabei ums Leben. 40 weitere wurden verletzt. Bei den anschließenden Razzien bestätigte sich einmal mehr der Verdacht, dass die GSPC ein Teil des weltweiten Al-Qaida-Netzwerkes sind. „Unter den Verhafteten befanden sich arabische Afghanen“, wusste die unabhängige, algerische Presse zu berichten.

Bereits im vergangenen September war die Armee auf Kontakte von Hattab mit dem Netzwerk von Ussama Bin Laden aufmerksam geworden. Bei einem Gefecht zwischen Islamisten und der Armee wurde in Ostalgerien Emad Abdelwahid Ahmed Alwan getötet. Der Jemenite mit dem Decknamen Abou Mohamed war nach algerischen Angaben Bin Ladens Abgesandter für Nordafrika. Er hatte vor seinem Tod die GSPC ausgebildet und mehrere Länder jenseits der Sahara bereist, um Kontakte auszubauen. Das Ziel war vermutlich der Aufbau mehrerer Basen, um die Verluste in Afghanistan und im Sudan wettzumachen.

Längst ist für die bewaffneten Islamisten in Algerien kein unmittelbarer Sieg mehr in Sicht. Von den einst 25.000 bewaffneten Islamisten in den Bergen fiel über die Hälfte bei Gefechten mit der Armee, andere wurden verhaftet. 6.000 nahmen das Angebot von Präsident Bouteflika an: Sie ergaben sich und erhielten im Gegenzug Straffreiheit. Der islamische Untergrund dürfte heute nur noch knapp tausend Mann zählen. Die Hälfte davon gehören Hattabs GSPC an.

Außer den GSPC steht auch die im Westen des Landes operierende Gruppe „Verteidiger der salafistischen Predigt“ in Kontakt mit al-Qaida. Ihr Anführer Mohammed Slim, genannt „Slim el Afghani“, war mehrere Jahre in Afghanistan, bevor er 1992 nach Algerien zurückkehrte und sich dort dem bewaffneten Untergrundkampf anschloss.

Er ist nicht der einzige algerische Islamist, der eine Ausbildung in Afghanistan genossen hat. Mehrere tausend Algerier gehörten in den 80er-Jahren zu den über 110.000 Freiwilligen im Afghanistankrieg. Die USA unterstützten damals diese Gruppen radikaler Muslime. Schließlich richtete sich der „heilige Krieg“ gegen die sowjetischen Besatzer. Auch die algerischen Geheimdienste ließen die Islamisten gewähren; der Afghanistankrieg war ihnen willkommen, um sich der Fanatiker zu entledigen. Anfang der Neunzigerjahre kamen dann die meisten zurück. Mitglieder der heute verbotenen Islamischen Heilsfront erinnern sich an ihr „elitäres, aggressives Auftreten“. Nach dem Verbot der FIS fanden sie ihren Platz in Algerien: im Untergrund.

Die algerische Öffentlichkeit wurde 1994 erstmals auf die Kontakte zu Ussama Bin Ladens al-Qaida aufmerksam. Die Armee stoppte in der Sahara einen Konvoi, der Waffen in die Berge rund um Algier bringen sollte. Unter den Gefallenen und Verhafteten befand sich eine große Zahl von Sudanesen und Jemeniten.

Der harte Kern der algerischen bewaffneten Islamisten ist für al-Qaida von großem Interesse. Die salafistischen Kämpfer sind gut ausgebildet. Sie haben in jahrelangem Kampf das Leben im Untergrund sowohl in den Bergen als auch in den Städten gelernt. Durch die geografische Nähe zu Europa ist Algerien der ideale Brückenkopf. In den Städten mit großer Präsenz von nordafrikanischen Immigranten fallen radikale Islamisten nicht auf. Längst haben sie Europa für ihre Zwecke aufgeteilt. Spanien, wo seit den Anschlägen vom 11. September 35 radikale Islamisten festgenommen wurden, dient als Rückzugsraum und zur Beschaffung von Material. Bei den Razzien wurden immer wieder Funkgeräte, Elektronik und gestohlene Ausweispapiere gefunden.

Egal ob in Frankfurt, London oder Barcelona – wenn in Europa die Polizei mutmaßliche Al-Qaida-Zellen aushebt, stammt der Großteil der Verhafteten aus Algerien. Nach elf Jahren Bürgerkrieg mit über 150.000 Toten exportiert das nordafrikanische Krisenland die Gewalt. Die Kämpfer, einst ausgezogen, das algerische Regime zu stürzen, haben jetzt Größeres vor. Als Teil der islamistischen Internationale von Ussama Bin Laden wollen sie den „heiligen Krieg“ in die Städte der Ungläubigen tragen.