Demonstration gegen Wiener Rentenpolitik

200.000 Menschen gehen in Österreich auf die Straße, um gegen die Kürzungspläne der Regierung zu protestieren

WIEN taz ■ Gott steht aufseiten der Mächtigen. Für den Wahlsieg von Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im vergangenen November hatte die damalige ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat dem Allerhöchsten gedankt. Diese Verbindungen nach oben scheinen weiter intakt zu sein. Denn just auf die größte Protestdemonstration seit Jahrzehnten prasselte am Dienstag ein Hagelwetter nieder.

Die von den Gewerkschaften organisierten Demonstranten ließen sich davon allerdings wenig beeindrucken. Die meisten waren aus der Provinz angereist, um gegen die geplante Rentenreform zu protestieren. An die 200.000 Menschen bewegten sich am späten Nachmittag zum Heldenplatz vor dem Bundeskanzleramt. Immerhin 100.000 nach den herunterkorrigierten Angaben der Polizei. Schon am Vormittag waren landesweit die Pflichtschulen bestreikt worden. Der Lehrerschaft geht es nicht nur um die drohenden Rentenkürzungen, sondern auch um die von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer verordnete Stundenkürzung. Die entsprechende Lehrplanreform soll erst später nachgereicht werden.

Wie alles, was die Regierung als Reform ausgibt, verrät auch die Stundenkürzung das geheime Ziel der kurzfristigen Einsparungen. Denn wollte man wirklich die Schüler entlasten, wie die Regierung vorgibt, könnte man auch die Schulstunde von 50 auf 45 Minuten kürzen, wie etwa der Rechnungshof vorschlug. Diese Variante würde keine Arbeitsplätze vernichten.

Schüssel war zwar sichtlich beeindruckt von den Massen, die unter den eiskalten Niederschlägen den Worten ihrer Anführer Applaus spendeten, doch zeigte er sich entschlossen, „dem Druck der Straße“ nicht nachzugeben.

„Wer ist denn diese Straße? Das ist dieser Platz. Das sind mehr als 100.000 Menschen mit Gesichtern. Diese Menschen haben auch eine Stimme, und diese Stimme sagt klar und deutlich: ,So nicht, Herr Bundeskanzler!‘ “, brüllte ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch ins Mikrofon. Dass der Protest nicht nur von linken Gewerkschaftern getragen wird, gibt der Bewegung Kraft.

Während die Regierung am 4. Juni als Stichtag für die Parlamentsabstimmung festhält, fordern Opposition, Gewerkschaften und selbst die Wirtschaftskammer, eine so weit reichende Reform könne noch ein paar Wochen Diskussion vertragen. Außerdem solle die versprochene Harmonisierung der verschiedenen Pensionssysteme gleichzeitig durchgezogen werden. Alles andere sei ungerecht.

Darum geht es auch, wenn heute ab 16.00 Bundespräsident Thomas Klestil zu einem Runden Tisch in die Hofburg einlädt. Schüssel, dem dieser Vermittlungsversuch äußerst ungelegen kommt, will inhaltlich hart bleiben und an seinem Zeitplan festhalten. Außerdem werden die Regierungsvertreter, die künftige Pensionen kürzen und Frühpensionen abschaffen wollen, erst mal erklären müssen, warum für Politiker andere Spielregeln gelten sollen. In einem eben veröffentlichten Entwurf zur Reform der Politikerpensionen wird nämlich die Frühpension für seit mindestens 1997 tätige Volksvertreter neu eingeführt.

RALF LEONHARD