Oh Bruder, wo bist du?

Ein Konzert für die Country Hall of Fame: D. A. Pennebakers Musikdokumentation „Down from the Mountain“ erzählt vom Comeback der alten Bluegrass-Musik

„Wie viele Bluegrass-Musiker braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln?“, lautet ein alter amerikanischer Musikerwitz. Die Antwort: „Vier. Einer dreht die Birne heraus. Die anderen drei beschweren sich, dass sie mit Elektrizität betrieben wird.“

Anders als der kommerzialisierte Mainstream-Country, wird die Bluegrass-Musik bis heute ausschließlich auf akustischen Instrumenten gespielt. Deshalb haftet ihr auch noch immer ein gewisser Geruch des hillbillyhaft Hinterwäldlerischen an. „Mountain Music“ nannte man diese Art von Roots-Musik in den USA lange Zeit; im Radio ist sie fast nie zu hören. Während der Depressions-Ära im „Blue Grass State“ Kentucky in den 30er-Jahren entstanden, erlebte die Spielweise der armen Landbevölkerung in den späten 40er-Jahren einen bescheidenen kommerziellen Höhepunkt.

„O Brother Where Art Thou?“, jener Südstaaten-Homer-Adaption der Coen-Brüder, ist es zu verdanken, dass sie ein kleines Revival erlebte: Zwölf Wochen führte der Soundtrack ohne jegliches Airplay die amerikanischen Country-Charts an. Und weil die Coen-Brüder nicht nur nerdige, sondern auch kluge Kenner der verschrobensten Americana sind, fügten sie auch in einem Subplot ihres Depressions-Musicals die Geschichte des amerikanischen Blues-Gitarristen Robert Johnson ein, der seine Seele an einer Kreuzung, so die Legende, dem Teufel verkaufte.

Wenn Bluegrass über das rein Musikalische heutigen Hörern etwas zu sagen hat, dann ist es einmal mehr die Einsicht, dass sich die Geschichte der US-amerikanischen Populärmusik nicht anhand einer color line schreiben lässt. Im Bluegrass vermischen sich „weiße“ und „schwarze“ Einflüsse haltlos. Nur die restriktive Gesetzgebung in den Südstaaten verhinderte einst, dass Bluegrass-Platten in Schallplattenläden neben race music wie Blues oder Gospel platziert werden durften.

Mit D. A. Pennebakers Film „Down From the Mountain“ zeigt das Eiszeit-Kino nun eine Dokumentation, die als Spin-Off des vielleicht besten Coen-Brüder-Films begann und an einigen wenigen Stellen auch von der Geschichte musikalischer Segregation erzählt. Der Film dokumentiert ein Konzert, das im Mai 2000 als Benefiz für die Country Music Hall of Fame im Ryman Auditorium in Nashville unter der Ägide des Produzenten T-Bone Burnett mit den Musikern des Soundtracks stattfand. Zu sehen und zu hören sind, unter anderen, die Sport-Fanatikerin Emmylou Harris, die sich noch im Backstage-Raum auf einem speziellen Beeper die Baseball-Ergebnisse abruft, The Cox Family, Gillian Welch, das Gospel-Quintett The Fairfiel Four, der Blues-Star Chris Thomas King, der im Film Robert Johnson spielte, und das faszinierend hässlich anzuschauende Kinder-Trio The Peasall Sisters. Im Grunde aber gehört die Show dem kürzlich verstorbenen MC des Abends und begnadet-zynischen Fiddler John Hartford, der so aussieht, als wäre er tatsächlich eine Figur der Coen-Brüder.

Filmisch hat sich D. A. Pennebaker (dessen Musikdoku-Schaffen in die Zeit von Bowies „Ziggy Stardust“-Phase und dem frühen Dylan zurückreicht) dabei so sehr zurückgehalten, dass er seine Protagonisten nicht einmal namentlich einführt. Das ist zwar schade, aber die straight abgefilmte Performance ohne Mätzchen entschädigt dennoch weitgehend für alle cineastischen Unzulänglichkeiten.

Vielleicht war Pennebaker auch nur damit beschäftigt, die Glühbirnen seiner Scheinwerfer auszuwechseln. TOBIAS NAGL

„Down from the Mountain“ (OV) läuft im Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 20, Kreuzberg