DIE MANIPULATIONSVERSUCHE AZNARS SIND EINER DEMOKRATIE UNWÜRDIG
: Manöver wie in Krisenländern

Es ist unglaublich: Die spanische Regierung hat versucht, die Öffentlichkeit zu hintergehen. Nach den Verhaftungen vom Samstag und dem Auftauchen eines Bekennervideos zeigt sich, dass nicht sein konnte, was nicht sein durfte: eine (Mit-)Täterschaft von Islamisten am Madrider Attentat.

Außenministerin Ana Palacio befahl ihren Botschaftern, die Spur, die zur baskischen Separatistengruppe ETA als mögliche Verantwortliche des Blutbads führte, als einzig wahre darzustellen. Regierungschef José María Aznar rief persönlich bei den Herausgebern der großen spanischen Tageszeitungen an, um sie davon zu überzeugen, dass jedweder Verdacht in Richtung islamistischer Terror unbegründet sei. Und Mitarbeiter aus seinem Presseamt taten das Gleiche mit den Korrespondenten großer europäischer Medien. Regierungssprecher Javier Zaplana und Innenminister Angel Ácebes hielten noch wenige Stunden vor den Verhaftungen von drei Marokkanern und zwei Indern in Madrid an ETA als „wichtigste Spur“ fest.

Die Regierung versuchte damit, die 200 Toten aus den Pendlerzügen für ihre Wahlinteressen auszunutzen. Denn wenn es um den Kampf gegen ETA geht, sehen die Bürger die Kompetenz eindeutig bei der Regierung und nicht bei der Opposition. ETA als Täterin hätte so die Stimmen bringen können, die dem Nachfolger Aznars, Mariano Rajoy, in den letzten Umfragen zur absoluten Mehrheit fehlten. Ganz anders, wenn die Spur zu al-Qaida führt. Denn dann wäre das Massaker der Unterstützung der Konservativen zum Irakkrieg zurückzuführen – und Aznar hätte mit dem Zorn der Wähler zu rechnen, die ohnehin mehrheitlich gegen die Beteiligung Spaniens am Irakkrieg war.

„Mit unseren Toten spielt man nicht“, schrie eine aufgebrachte Menge im Zentrum Madrids in der Nacht vor der Wahl – zu Recht. Ein solches Vorgehen ist nicht akzeptabel. Solche Manipulationsmanöver kennt man sonst nur aus Krisenländern wie Algerien oder von zweifelhaften Regimen wie dem Wladimir Putins in Russland. Bleibt nur zu hoffen, dass den WählerInnen Zeit blieb, darauf zu reagieren. Die Konservativen gehören dort abgestraft, wo in einer Demokratie der legitime Ort dafür ist: an den Urnen. REINER WANDLER