Studierende kämpfen immer härter – gegeneinander

Studentische Politik, das sind heute: Fahle Gremiengesichter, ahnunglose Jungspunde und die neue kulturelle Hegemonie der „leistungsbereiten Elite“. Der Stress kollabierender Arbeitsmärkte hat sich dorthin vorverlegt, wo man früher – auch – gegen das System dachte: an die Unis. Eine Polemik

Zum Beispiel Stefan. Ich treffe den Philosophiestudenten auf einem schönen Frühsommerplatz, weit weg vom Campus. „Es ist frustrierend, oder?“ Der Blick ist verschleiert, den Freitag verbrachte er offenbar mit Alkohol. Seine Frage ist rhetorisch und zielt auf den Stand der Hochschulpolitik. Dort herrscht seit Jahren das gleiche Bild bei wechselndem Personal: Trotz großer Versprechungen und vollmundiger Ankündigungen ändert die Politik nichts am Kürzungsdogma. Umgekehrt dominieren unter den Studierenden Behäbigkeit und Langeweile. Studi-Politik ist bestenfalls noch scheinradikale Selbstbespiegelung.

Studentischer Beißreflex

Die Realität an den Universitäten ist derweil entmutigend. Zu wenig Lehrpersonal, miserable Betreuung der Studierenden, Öffnungszeiten von Bibliotheken, die denen eines Provinz-Bürgeramtes ähneln. Die Politik reagiert darauf, indem sie den Druck erhöht. Klaus Wowereit etwa, Berlins Regierender Bürgermeister, krönt seine Politik dieser Tage mit der Forderung nach einem Bezahlstudium.

Bei den Studierenden regt sich zwar an einigen Stellen der alte Beißreflex, ernsthaft zu bieten haben sie aber kaum etwas. Stefans Erfahrungen passen bestens zum Zustand der Studierendenvertretungen bundesweit. Er hat „drei Tage versucht, in der Fachschaft was zu reißen“. Danach half nur noch Bier. In den Fachschaften wie in Studierendenparlamenten dominiert Hilflosigkeit, die sich maximal in Spiegelfechtereien über harmlose Protestresolutionen entlädt. Von wem hier was vertreten wird, bleibt zweifelhaft. Wer nach ein paar Jahren Abstinenz mal wieder vorbeischaut, findet auf der einen Seite die alten Gremiengesichter, die sich nur noch selbst wiederholen. Oder Jungspunde, die arbeitssüchtig das Rad neu erfinden wollen. Es treffen jene aufeinander, die sich wichtig nehmen oder es gerne wären. Der übergroße Rest schaut auch zu später Stunde auf solchen Veranstaltungen nicht mehr vorbei: Gründliche politische Marginalisierung führt allenfalls zur Lächerlichkeit, und die ist nicht sexy. Das Problem: Es gibt kein politisches Projekt mehr, schon gar kein linkes.

Zudem mangelt es an institutionellem Gedächtnis und progressiver Sozialisation. Woher sollte die auch kommen? Kritische Wissenschaft ist beinahe nur noch ein Schlagwort, das mit „Frankfurt“ und „1968“ verbunden und historisiert wird, den meisten Seminaren ist ein entpolitisierter Grundton zu Eigen. Wenn dann Professoren außer Anekdoten und männlicher Selbstherrlichkeit nichts mehr zu bieten haben, bleibt am Ende überfüllter Sitzungen nur schaler Geschmack. Aber den meisten KommilitonInnen reicht augenscheinlich, wenn der Name des Dozenten auf dem Seminarschein mit dem Buchautor aus dem Fernsehen übereinstimmt.

Aus der Fachschaft unseres frustrierten Protagonisten hören sich die Meldungen nicht anders an. Es gab keinen Austausch mit Fachschaften anderer Universitäten, keine Pressekontakte, kaum Anknüpfungspunkte, Haltelinien oder Orientierungen. Aktive von Fachschaften und Studi-Vertretungen haben Mühe, ihre Reihen zu schließen. Inhaltliche Veranstaltungen finden höchstens im kleinen Kreis statt. Immer esoterischer oder altbackener muten die Diskussionen an, immer weniger finden sie Resonanz auf den Gängen der Institution. Dort kämpfen die Studierenden immer härter – gegeneinander, denn es geht um Aufmerksamkeit, gute Noten, schnelles Studieren.

Alternativmilieu perdu

Dabei wirkten die Zwänge des sich radikalisierenden Kapitalismus nach 1968 vergleichsweise langsam in die Universitäten, die volle Wucht von Konkurrenzkampf, Vereinzelung und Statusängsten wird erst die voll gebührenpflichtig studierende nächste Generation treffen. Seit Jahren nimmt die Zahl der psychologisch betreuten Studierenden beharrlich zu.

Kürzungspolitik öffnete die Institutionen für den Druck des Arbeitsmarktes und veranlasste so einen fundamentalen Wandel im Innenleben deutscher Universitäten, wie dies eine Milieustudie des Hochschul-Informations-Systems in Hannover schon vor Jahren feststellte. Die Autoren zeigen auf, dass in den 80ern das alternative Milieu der Gesellschaft im Wesentlichen aus den Universitäten gespeist wurde. Große Anteile der modernisierten oberen und mittleren Mittelschicht rekrutierten sich aus Studierenden, „der soziokulturelle Schwerpunkt der Studierenden lag 1986 eindeutig im hedonistisch-postmateriellen Wertebereich, und die lebensweltliche Distanz zur Mitte und mehr noch zu deren traditionellen Milieus war gewaltig.“ Dieses alternative Milieu ist im Zuge der 1990er-Jahre in einzelne Segmente zerfallen, sein Wertekanon zerrissen oder mit anderen Bereichen vermengt. Die Milieus der Bürgerlichen und Aufstiegsorientierten, sowie das moderne Arbeitermilieu sind gewachsen und haben eine ausdifferenzierte „Mitte“, analog zur gesellschaftlichen Veränderung, auf die Universitäten projiziert. Was blieb, war das konservativ-technokratische Milieu, das sich selbst als leistungsbewusste „Elite“ begreift. Die einst dominanten linken und modernen gesellschaftlichen Leitmilieus aber spalteten sich. Die Hochschule, deren prägende Stichworte vor nicht allzu langer Zeit „Uni als Lebensraum“ oder „kritische Wissenschaft“ waren, ist – scheinbar – zu ihrer Funktion der elitären Berufsausbildung zurückgekehrt.

Damit vertragen sich die kulturellen Bezugspunkte eines neoliberalen Gesellschaftsverständnisses gut, wie etwa Leistungsbezogenheit, Ich-Zentralität und unkritischer Hedonismus werden mit der Vorstellung von Karriere und exotischem Urlaub kompensiert. Der Stress, sich auf zusammenbrechenden Arbeitsmärkten behaupten zu müssen, ist dorthin vorverlegt wo früher auch mal gegen das System gedacht wurde. Dazu passt: Kinder von Nichtakademikern oder von Sozialhilfeempfängern werden auch unter RotGrün weiter aussortiert.

Als Konsequenz sehen aufmerksame Beobachter, wie die alten Markierungen politischer Überzeugungen überrannt werden. Studiengebühren werden vielfach von den KommilitonInnen gutgeheißen, „wenn sie der Universität zugute kommen“. Vielfach hallt das Gejammer durch die Reihen, es säßen aber auch „fast nur Studierende ohne genügend Qualität im Seminar“. Der urkonservative Ruf nach den Begabten und mehr Auslese wird unter den meisten Studierenden ganz pragmatisch umformuliert – zum eigenen Vorteil, zur Säuberung des Seminars.

Derweil fördert der Massenbetrieb eine Art Bildungsbulimie: Vorverdautes Wissen muss in Klausuren wiedergekäut werden, in den Semesterferien geht es geschwind zum Auslandspraktikum. Dafür gibt es nun schick klingende Abschlüsse wie Bachelor und Master, Protest gegen überfüllte Seminare hingegen kommt kaum mehr auf. Wer kritische und tiefgründige Diskussionen nicht mehr kennen lernt, kann sich über ihr Verschwinden kaum beschweren.

Als bräuchte es einen Beweis für jene Thesen, fanden die Universitäten in den gerade vergangenen Protesten um Krieg und Frieden nicht statt. Auf dem durch Semesterferien befriedeten Campus trafen wir uns, um Hausarbeiten zu schreiben oder bei Prüfungsvorbereitungen. Vielfach sah die Fassungslosigkeit in den Gesichtern der Älteren ganz so aus wie der verkaterte Stefan. LENNART LABERENZ