bücher aus den charts
: Serienmörder, Nazis

Gegen Elke Heidenreichs „Lesen!“-Sendung lässt sich viel einwenden, etwa die platten Kaufempfehlungen oder Heidenreichs obligate Ausfälle gegen das Feuilleton. Die Auswahl der Bücher aber, die ist oft überraschend, auch skurril, und liegt jenseits aller Trends. So wundert man sich jedes Mal, was zwei Wochen später so in die Charts kommt: Zuletzt vor allem Heiner Links Machobuch „Frl. Ursula“ und Mark Haddons Autistenroman „Supergute Tage“, aber auch die Ehebruchgeschichte der 80-jährigen Irin Leland Bardwell, „Mutter eines Fremden“. Genauso verwunderlich ist, warum es andere Bücher nicht schaffen: So Miguel Delibes’ „Mein vergötterter Sohn Sisi“ oder im Dezember Charles Simmons’ Literaturbetriebssatire „Belles Lettres“? Selbst der Chartszulieferungsbetrieb „Lesen!“ hält also noch Rätsel parat.

Ganz ohne Geheimnis ist dagegen die Topplatzierung von „Cupido“, dem Debütroman der amerikanischen Staatsanwältin Jilliane Hoffman. „Cupido“ ist ein Serienmörderreißer in der Tradition der Hannibal-Lector-Trilogie oder von Filmen wie „Seven“ oder „Copykill“. Eine junge Jurastudentin wird in ihrer Wohnung von einem Unbekannten mit Clownsmaske brutal vergewaltigt und trifft diesen zwölf Jahre später als Staatsanwältin im Gerichtssaal wieder. Inzwischen sollen auf das Konto ihres Vergewaltigers elf Morde an Frauen gehen, die er tagelang quält und vergewaltigt, um ihnen final das Herz aus dem Körper herauszuschneiden. Cupido, so sein Spitzname, ist der Polizei zufällig bei einer Fahrzeugkontrolle ins Netz gegangen, mit einer Leiche im Kofferraum, und Hoffman entspinnt im Folgenden den Kampf der Staatsanwältin, ihren einstigen Peiniger mit ausreichend Beweisen hinter Gitter zu bringen, und mehr noch: auf den elektrischen Stuhl.

Funktioniert hinsichtlich Suspense und Buch-nicht-mehr-aus-der-Hand-legen-Können „Cupido“ einwandfrei, zumal sich am Ende noch einiges anders als erwartet entwickelt, so ist Hoffmans Einstellung zur Todesstrafe doch mehr als zweifelhaft, wenn sie mit dem zwar verständlichen, aber doch sehr eindimensionalen Rachemotiv operiert. Genauso zweifelhaft ist, dass Cupido eine hiebfeste psychiatrische Dignose hat: eine schwere Borderline-Störung, die sein Verhalten erklärbar macht, in einem Aufwasch aber jeden Haldol-Patienten mit unter Verdacht stellt. Gruseliger sind in der Regel die Killer, die keine eklatante Persönlichkeitsstörung aufweisen – im richtigen Leben gibt es sie öfter als in Romanen wie diesem.

Im Vergleich zu den Heidenreich-Sellern und Thrillern wie „Cupido“ passt Wibke Bruhns’ Sachbuchbestseller (Platz 3 diese Woche) „Meines Vater Land“ voll in einen Trend: den der Familienromane und Nazikriegserinnerungsromane der Kinder und Enkelkinder. Bruhns berichtet aus dem Leben ihres Vaters Hans Georg Kalmroth, eines durchaus strammen Nazis, der im August 1944 als Hochverräter hingerichtet wird. Mehr noch aber zeichnet sie die Lebensgeschichten der Familien ihrer Mutter und ihres Vaters nach, zweier großbürgerlicher Familien aus Wismar und Halberstadt zwischen Kaiserreich und Nazizeit. Gewissenhaft hat Bruhns Briefe und Tagebücher ausgewertet und linear verknüpft; fast im Telegrammstil jagt sie durch die Jahre ihrer Eltern, immer die historischen Ereignisse im Blick – das ist detailreich, aber wenig tiefenscharf, sodass man bald das Interesse an den „Figuren“ verliert. Zumal Bruhns am Ende nur wenig über ihres Vaters Involviertheit in den 20. Juli in Erfahrung bringt, über seine Beweggründe, die Dauer seiner Zusammenarbeit. „Meines Vaters Land“ ist ein Buch zur Zeit, das einmal mehr familiär begründetes Verständnis und Ratlosigkeit zeigt. Das aber weit davon entfernt ist, ein „Epos“ zu sein, wie der Klappentext schwärmt, sondern eher nach viel mehr Verdichtung verlangt. Manchmal kommt man so der Wahrheit viel näher.

GERRIT BARTELS

Jilliane Hoffman: „Cupido“. Aus dem Amerikanischen von Sophie Zeitz. Wunderlich, Hamburg 2004, 480 Seiten, 19,90 Euro Wibke Bruhns: „Meines Vaters Land“. Econ, München 2004, 390 Seiten, 22 Euro