„Als Kellnerin darfst du dir auch nichts gefallen lassen“

Eva Glawischnig kommt aus einem Gasthaus in Kärnten. Jetzt ist sie Chefin der österreichischen Grünen. Für die ökologische Erneuerung der Gesellschaft setzt sie auf die Biowaffe

Geboren: Am 28. Februar 1969 in Villach. Verheiratet und Mutter eines zweieinhalbjährigen Sohns. Juristin. Ist: Seit Ende Oktober dieses Jahres als Nachfolgerin Alexander Van der Bellens Vorsitzende der Grünen in Österreich. Seit 1999 Abgeordnete der Grünen im österreichischen Nationalrat. Von Oktober 2006 bis Oktober 2008 war sie Dritte Nationalratspräsidentin. Wahl 2008: Als Spitzenkandidatin holte Glawischnig 10,4 Prozent (minus 0,6 Prozent). Es regiert jetzt eine Koalition aus SPÖ (29,3 %) und ÖVP (26,0 %). Kindheit und Jugend: Verbrachte sie „im freiheitlich-nationalen Kernland“ in Seeboden am Millstätter See in Kärnten. Neben der Landwirtschaft betrieben ihre Eltern dort das Gasthaus „Zur schönen Aussicht“. Sie erlernte auch das Musizieren am Hackbrett. Greatest Hit: Brachte es als Keyboarderin der „Gerald Gaugeler Band“ mit dem Song „Gelati“ im Jahre 1987 auf Platz 1 der österreichischen Hitparade. Zum taz-Gespräch traf sie taz-Redakteur Andreas Fanizadeh kurzfristig nahe dem Parlament in Wien und investierte dafür ihre Mittagspause.

Interview Andreas Fanizadeh

taz: Frau Glawischnig, Österreichs Supermärkte sind voller Bioprodukte, das Land hat keine Atomkraft, und Dosenpfand ist wahrscheinlich auch längst eingeführt. Was gibt es da für Grüne noch zu tun?

Eva Glawischnig: Das ist eine etwas klischeehafte Beschreibung Österreichs. Die Schlüsselfrage wäre jetzt doch die nach einer kompletten Energiewende. Dem Ausstieg aus der Öl- und Gasversorgung, um so die ökologischen und sozialen Probleme unserer Zeit zugleich zu lösen.

Also die Umstellung des ganzen Landes auf regenerative Energien?

Ja, auf erneuerbare Energien.

Eine Energiewende wäre sicherlich von sehr großer gesellschaftlicher Bedeutung. Warum tun sich dennoch viele so schwer, die Grünen als die erneuernde sozial-ökologische Kraft wahrzunehmen, und wählen als Opposition zur großen Koalition in Österreich viel lieber die rechtsextremistischen Parteien BZÖ und FPÖ?

Das ist nicht leicht zu beantworten. Viele scheinen das Gefühl zu haben, alles verteuere sich ständig. Es bleibt weniger zum Leben übrig, die steigenden Heiz- und Energiekosten …

Ist das ein Gefühl oder tatsächlich so?

Oftmals wird das so gefühlt. Ob es empirisch stimmt, wäre eine andere Frage. Die Grünen wurden in diesem Wahlkampf sicherlich nicht als Protestpartei begriffen. Wir haben uns aber auch nicht klar genug als echte Alternative zum rot-schwarzen Regierungsbündnis präsentiert.

In Deutschland führt die große Koalition nicht zur Stärkung des rechten Rands. Was läuft da in Österreich anders?

In Österreich hat die große Koalition den Rechten das Feld bereitet. Es gibt einen Rechtsruck, insbesondere was Fragen der Migration betrifft.

Wie schaut das aus?

In Integrations- und Zuwanderungsfragen hat die FPÖ seit dem Aufstieg Jörg Haiders die Ausrichtung vorgegeben. Auch die SPÖ ist immer wieder darauf eingeschwenkt, bei der Gesetzgebung wie in ihrer Rethorik, mit dem „Das Boot ist voll“-Argument. Österreichs Ausländergesetzgebung lässt sich heute kaum mehr verschärfen, das Staatsbürgerschaftsrecht ist eines der restriktivsten Europas. Im Moment gibt es de facto keine Zuwanderung, außer der ungesteuerten.

Noch einmal der Vergleich mit Deutschland, wo die Linkspartei im Aufwind ist: Hat der Protest der FPÖ/BZÖ-Wähler jenseits von Faschismen nicht auch so etwas wie einen rationalen Kern?

Die beiden großen Parteien in Österreich sind der Unterschied. ÖVP und SPÖ haben das Tor geöffnet. Sie haben nicht konsequent gesagt: Das wollen wir so nicht. Sich bei Demonstrationen an der Basis fürs Bleiberecht einzusetzen und im Parlament dagegen zu stimmen, das verstehen die Leute nicht. Warum sollen sie dann nicht auch ein bisschen ausländerfeindlich sein?

In Deutschland fängt die Linkspartei Protestwähler auf. Wäre es nicht sinnvoll für die Grünen in Österreich, das Feld der sozialen Frage stärker zu besetzen als bisher?

Ja. In die Gerechtigkeits- und Verteilungsdiskussion hätten wir früher einsteigen sollen. Sozialpolitische Debatten werden in der Öffentlichkeit größtenteils der SPÖ zugeschrieben. Unser Profil ist hier zu schwach gewesen. Mein Ziel ist es, dass die Grünen in Österreich als starke Umwelt- und künftig auch als starke Gerechtigkeitspartei wahrgenommen werden, gerade auch in Konkurrenz zu den populistischen Behauptungen der Rechten.

Sie kommen wie der verstorbene Jörg Haider aus Kärnten. In Deutschland tut man sich schwer, den Kult um seine Person zu verstehen.

Damit tue ich mich auch schwer.

Worum geht es da?

Das politische System in Kärnten ist extrem innovationsfeindlich. Das Land hat sich jetzt über zwei Jahrzehnte fast ausschließlich über Jörg Haider definiert. Im Widerstand zu ihm oder als seine feurigen Anhänger.

Der Theaterregisseur Martin Kusej sprach im profil anlässlich der Reaktionen auf den Tod Haiders von einer „Volksgemeinschaft in ihrer beängstigenden Ausformung“.

Ich glaube durchaus, dass die Bevölkerung in Kärnten weltoffener ist, als es oft dargestellt wird. Und es gibt auch eine Opposition, die mit dieser politischen Versumpfung nichts zu tun hat. Beispiel einer politischen Inszenierung: Die Kärntner Landesregierung beschloss, dass die Volksseele verletzt sei, als Kabarettisten die Vorfälle um Haiders Tod aufgriffen. Zu diesem schrecklichen politischen System gehören alle drei Lager: ÖVP, SPÖ und BZÖ/FPÖ, die sich seit Jahrzehnten in einer Proporzregierung das Land aufgeteilt haben. Jörg Haider hatte dort nie eine ernst zu nehmende Konkurrenz, da die SPÖ heillos zerstritten war und die ÖVP immer an Haiders Rockzipfel hing. Die starke Stellung der Landeshauptleute ist aber ein allgemeines Phänomen.

Aber ein Kärntner Phänomen scheint, dass dem Manager der Kabarettisten Stermann und Grissemann die Muttern an einem Autoreifen gelockert wurden und der Landeshauptmann ein Auftrittsverbot forderte. Ist das überhaupt mit Bundesrecht vereinbar?

Nein, das ist mit den Grundrechten und der Meinungsfreiheit unvereinbar. Aber die rechtsstaatlichen Mechanismen sind nicht ganz außer Kraft gesetzt. Eine Anzeige wegen Amtsmissbrauch aufgrund der Verrückung der slowenischsprachigen Ortstafeln wurde von der Staatsanwaltschaft aufgegriffen.

Sie leben heute in Wien, kommen aber ursprünglich von einem Bauernhof am Millstädter See?

Es war mehr ein Gasthaus, die Landwirtschaft war Nebenerwerb. Zu meiner Geburtsheimat hab ich nach wie vor eine sehr starke Verbundenheit, insbesondere zu den Leuten, die dort wirklich ein Leben lang Widerstand leisten. Ich wäre auch mit 16 nie auf die Idee gekommen, Jörg Haider zu wählen. Ich hab mit diesem Milieu nie etwas zu tun haben wollen. Allerdings geht es vielen jungen Leuten so, dass sie kaum eine Arbeitsperspektive sehen. Es gibt nur eine sehr kleine Universität in Klagenfurt, viele junge Leute wandern ab. Dass die Grünen dort 2006 in den Landtag einziehen konnten, war mir ein persönliches Anliegen. Ich hab dafür im entscheidenden Wahlkreis in jedem Wirtshaus gestritten.

Das klingt nach einem sehr direkten, unmittelbaren Verhältnis von Politik. Man muss sich da schon richtig reinstellen, wenn man etwas erreichen will?

Dass ich aus einem Gasthaus komme, hat mir sicherlich auch geholfen. Als Kellnerin darfst du dir auch nichts gefallen lassen. Keine einzige Umfrage hat uns den Einzug prognostiziert, aber wir haben’s geschafft, mit einem Kabarettisten als Spitzenkandidaten.

Nach dem Wahlsieg Barack Obamas sagte der frühere ORF-Chefredakteur Klaus Emmerich bei einer Fernsehdiskussion: „Ich möchte mich nicht von einem Schwarzen in der westlichen Welt regieren lassen.“ Es müsse den US-Bürgern „schon sehr schlecht gehen, dass sie einen Schwarzen ins Weiße Haus schicken“ . Läuft das unter: Österreich ist halt Österreich?

Das war eine unfassbare rassistische Entgleisung, und da hat es auch schweren Protest gegeben. Generell lässt sich sagen, dass viele österreichische Medien in den letzten Jahren mit Haider ihre Auflagen gesteigert haben. Ich weiß nicht, wie viele Illustrierten-Titelbilder es gegeben hat. Oder wie der Boulevard noch Wochen danach seinen Tod zelebriert und die Distanz zu jeglicher normalen Berichterstattung vermissen ließ.

Woran liegt das?

„Wenn es nicht gelingt, die ökologische Erneuerung zu schaffen, wird es in Österreich sehr starke soziale Verwerfungen geben“

Es gibt da so ein Old-Boys-Netzwerk. Das betrifft auch den Umgang Österreichs mit der Vergangenheit oder eben bestimmte Einstellungen zu Grundrechten wie der Meinungsfreiheit. Das sind die Old Boys, die das noch immer nicht geschnallt haben.

Wie kann sich das ändern?

Ich hoffe auf einen Generationenwechsel in der Politik und in den Medien.

Modernisierung durch die Biowaffe?

Wenn Sie so wollen: ja. Damit künftig nicht Leute wie Martin Graf in das Amt eines dritten Nationalratspräsidenten gewählt werden. Der hat an Veranstaltungen mit Holocaust-Leugnern teilgenommen, an Burschenschaftler-Treffen, wo Leute auftraten, die Udo-Jürgens-Lieder so umgeschrieben haben: „Mit sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an“. Und so weiter. Einen FPÖ-Politiker wie Graf mit den Stimmen der großen Parteien zum dritten Nationalratspräsidenten zu wählen, das ist eine unglaubliche Kumpanei und deutet auf eine nach wie vor fehlende Abgrenzung zum Nationalsozialismus.

Die Grünen stehen heute vor allem auch für „bewusstes Konsumieren“. Wie weit kann man heute damit politisch kommen? Wo sehen Sie das Potenzial einer Erzählung, um breitere Bevölkerungsschichten für ihre Vision einer gerechteren Gesellschaft zu erreichen?

Die Grünen wollten immer auch politische Bewusstheit und Genießen zusammenbringen: Genießen mit gutem Gewissen. Die Partei hat damit eher die besser gestellten Bildungsschichten erreicht. Unsere jetzige Debatte zielt auf eine Erweiterung und geht in eine ganz andere Richtung: Wenn es nicht gelingt, die ökologische Erneuerung zu schaffen, wird es in Österreich absehbar sehr starke soziale Verwerfungen geben. Wir erleben derzeit nicht nur eine Krise des Finanzmarkts, sondern des ganzen Systems, und das muss man den Leuten begreiflich machen. Also es geht nicht nur um die Dinge, die das Leben angenehm machen – kurze Wege, öffentliche Verkehrsmittel, Biolebensmittel –, sondern um viel grundsätzlichere Systemfragen.

Bei den letzten Wahlen hat eine Mehrheit der Jungen die Rechten gewählt. Nun stehen Sie als Person ebenfalls für Jugendlichkeit und nicht für das Old-Boys-System: Was haben denn diese, was Sie nicht haben?

Das war eine der irritierendsten Erkenntnisse der Wahl. Von einem Automatismus „Die Grünen sind die Partei der Jungen“ kann keine Rede mehr sein. Wir sind auf ein normales Niveau gesunken. Da haben wir schlicht und ergreifend grobe Fehler gemacht, da müssen wir besser werden. Alle Umfragen zeigen, dass viele Jugendliche wegen des sogenannten Ausländerthemas sehr stark verunsichert sind. Viele junge Leute geben an, persönlich schlechte Erfahrungen mit Migranten gemacht zu haben und deswegen Straches FPÖ zu wählen. Da müssen wir mit Aufklärung und Integrationspolitik ansetzen, in den Schulen und den Kindergärten. Da hat in Österreich in den letzten Jahren wenig stattgefunden.

Eines fernen Tages – was scheint Ihnen realistischer in Österreich: rot-grün oder schwarz-grün?

Ich sehe das völlig emotionslos. Das wird ausschließlich davon abhängen, wie stark wir sind und mit wem wir mehr von unseren Positionen umsetzen können. Bei rot-grünen Mehrheiten hat sich die SPÖ wie etwa zuletzt in Salzburg nicht offen gezeigt. Und in Kärnten war es die SPÖ, die Jörg Haider mit zum Landeshauptmann gemacht hatte.