EU-ERWEITERUNG: VIEL QUANTITÄT IM OSTEN, WENIG QUALITÄT IM WESTEN
: Erfolgreicher Herdentrieb

Über Monate haben Erweiterungsdiplomaten in ganz Europa daran gearbeitet, die neun Volksabstimmungen über den Beitritt zur EU in eine „konstruktive“ Reihenfolge zu bringen. Die Idee war: Die sicheren Kantonisten sollten mit ihren guten Zustimmungsergebnissen die unsicheren Kantonisten mitziehen. Beinahe wäre diese Herdenstrategie danebengegangen: Gleich zum Auftakt brachten die Malteser nur eine sehr knappe Mehrheit zu Stande. Danach aber stimmte die Regie: Slowenen wie Ungarn und jetzt die Litauer bejahten mit 80 bis 90 Prozent. Das war die erste Gruppe.

Solche Werte werden die Slowaken am Ende dieser Woche wohl nicht erreichen. Aber auch eine Zweidrittelmehrheit würde schon positiv auf die Tschechen ausstrahlen. Analog kann das litauische Ergebnis beim südlichen Nachbarn Polen wirken. Dabei war noch bis vor kurzem nicht sicher, ob Polen und Tschechien, die beiden wichtigsten Beitrittsländer, im Juni mit Ja stimmen würden. Inzwischen sind die Prognosen auf über 50 Prozent Zustimmung gestiegen – unmöglich zu berechnen, wie viel davon auf den Herdeneffekt geht. Wenn nicht noch etwas Unvorhergesehenes passiert, ist die Erweiterung der EU auf 25 Länder mit 454 Millionen Menschen unter Dach und Fach gebracht.

Die Abteilung Quantität hat also ihre Hausaufgaben gemacht – im Gegensatz zur Abteilung Qualität. Die Erweiterung der Eurozone kommt nicht voran, denn die Argumente ihrer Verfechter können in den „Zielländern“ nicht überzeugen. In Großbritannien hält sich der eigentlich Euro-freundliche Tony Blair bedeckt. In Dänemark, ebenfalls aus diesem Teil des Maastrichter Vertrages ausgestiegen, ist der Euro kein Thema. Und in Schweden verfügen die Euro-Gegner über eine klare Mehrheit von mehr als 50 Prozent.

Und doch ist nicht ganz ausgeschlossen, dass eine Mischung aus Herdeneffekt und Dominotheorie die qualitative Europäisierung vorantreibt. Die Schweden stimmen am 19. September über den Euro ab, und die vielen Beitrittsreferenden mit positivem Abschluss könnten die Zahl der schwedischen Euro-Neinstimmen drücken. Das könnte Blair ermuntern, die dänischen Euro-Freunde aus der Versenkung holen und vielleicht sogar Beitrittsverhandlungen mit Norwegen ermöglichen.

Zuvor aber liefert noch die Abteilung für Grundsätzliches ihr Arbeitsergebnis ab. Der Europäische Konvent stellt im Sommer seinen Verfassungsentwurf vor, den die 25 Regierungen bis zum Jahresende absegnen sollen. Einigen sich die 25 tatsächlich auf dieses europäische Fast-Grundgesetz, folgt ein ganzer Reigen neuer Referenden. DIETMAR BARTZ