Höheres Niveau = spätere Rente

Die SPD-Linke hat sich im Streit um ein höheres Mindestniveau bei der Rente durchgesetzt. Die Folge wird eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit sein

„Wir werden das gesetzliche Rentenalter erhöhen müssen“

AUS BERLIN ANDREAS SPANNBAUER

Heute gegen 14.20 Uhr ist die Zitterpartie für die SPD zu Ende. Dann entscheidet der Bundestag über das Renten-Gesetz von Sozialministerin Ulla Schmidt. Nach langem Streit war noch gestern unklar, wie viele Abgeordnete der SPD am Ende gegen das so genannte Renten-Nachhaltigkeitsgesetz stimmen würden – obwohl es der Fraktionsspitze am Dienstagabend nach über drei Stunden Diskussion gelungen war, Kritiker weitgehend zu befrieden.

Am Ende der Auseinandersetzung stand fest: Die Abweichler, über die SPD-Fraktionschef Franz Müntefering „etwas angesäuert“ war, wie es aus der SPD-Fraktion hieß, haben beim Streit um das Mindestniveau bei der Rente noch einmal eine Korrektur durchgesetzt. Im Gegenzug kann die Regierung im Parlament auf eine eigene Mehrheit für das Rentengesetz hoffen. Allerdings kündigte noch am Mittwoch ein SPD-Abgeordneter an, er wolle mit Nein stimmen. Wegen der knappen Mehrheit kann die Regierung nicht mehr als drei Neinstimmen aus dem eigenen Lager verkraften.

Nach dem jetzt ausgehandelten Kompromiss soll die Regierung einschreiten, falls das Niveau der gesetzlichen Rente nach 2008 unter 46 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zu fallen droht. Die Klausel soll zeigen, dass die Regierung „zumindest nicht ohne Kampf“ unter diese Marke rutschen will, wie es der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Wilhelm Schmidt gestern ausdrückte.

CDU-Sozialexperte Andreas Storm wertete die Korrektur als „empfindliche Niederlage“ für die Sozialministerin – hatte diese doch in ihrem Entwurf vollständig auf ein Mindestniveau verzichtet. Doch dann war die Kritik daran immer lauter geworden; auch SPD-Abgeordnete wie der Sozialexperte Horst Schmidbauer warnten vor einem „freien Fall“ der gesetzlichen Rente. Als sich die Ministerin dann zögerlich zu einem Mindestniveau von 43 Prozent im Jahr 2030 bekannte, war dies vielen Kritikern zu wenig. „Wenn man die Menschen per Gesetz zum Einzahlen in die Rentenversicherung zwingt“, begründete der SPD-Abgeordnete Klaus Kirschner im Gespräch mit der taz seine hartnäckige Kritik, „dann muss man ihnen im Alter auch ein entsprechendes Einkommen garantieren, das sich von der Sozialhilfe abhebt.“

Nach tagelangen Verhandlungen setzten sich die Abweichler durch. Nachdem noch am Wochenende bis zu sieben SPD-Abgeordnete drohten, ihre Zustimmung zu verweigern, legte die Sozialministerin den Rückwärtsgang ein und schreibt nun ins Sozialgesetzbuch, dass die Bundesregierung ab 2008 „geeignete Maßnahmen“ unter Wahrung der Beitragsstabilität treffen muss, falls die Rente unter 46 Prozent zu fallen droht. Dies bezieht sich auf die Höhe der Rente im Vergleich zum Durchschnittseinkommen, nachdem die Sozialabgaben, aber nicht die Steuern abgezogen sind.

Der Erfolg der SPD-Linken könnte sich freilich ins Gegenteil verkehren. Denn am so genannten Nachhaltigkeitsfaktor, dem wichtigsten Instrument aus Ulla Schmidts Werkzeugkasten für die Rente, wurde nicht gerüttelt. Der Faktor soll künftig den Anstieg der Renten in dem Maß bremsen, in dem sich das Verhältnis von Rentnern und Beitragszahlern ändert (siehe Kasten). Bleibt es aber bei der jetzigen demographischen Entwicklung und einem mittleren Wirtschaftswachstum, sorgt genau dieser Faktor dafür, dass das Niveau der gesetzlichen Renten im Jahr 2030 bei eben jenen 43 Prozent des Durchschnittseinkommens liegen wird. Zudem sieht das Gesetz vor, dass der Beitragssatz langfristig bei 22 Prozent stabilisiert wird.

Damit gibt es für den Gesetzgeber 2008 nur zwei Möglichkeiten, dem nun niedergeschriebenen „Überprüfungsauftrag“, wie der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Schmidt, die Klausel nennt, nachzukommen: Eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit oder höhere Zuschüsse des Finanzministers für die Rentenversicherung. Letzteres ist unwahrscheinlich, weil es auf höhere Steuern hinauslaufen würde – und damit genau jene negativen Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung hätte, die der Gesetzgeber mit der Stabilisierung der Beitragssätze vermeiden will.

Enttäuscht zeigte sich daher auch Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbandes Deutschlands. Die Korrektur ändere „nichts am Kern des Gesetzes“, sagte Bauer der taz. „Rot-Grün beschließt die schärfste Rentenkürzung in der Geschichte der Bundesrepublik.“

Auch der grüne Koalitionspartner beurteilte die Einigung in der SPD zurückhaltend. Mit der Zusatzformel „vergibt man sich nichts“, kommentierte die grüne Rentenexpertin Birgitt Bender im SWR. Sie geht davon aus, „dass wir das gesetzliche Renteneintrittsalter werden erhöhen müssen“. Nach der Einigung in der SPD ist dies noch wahrscheinlicher geworden.