Eine Mannschaft steckt auf

Nach dem 1:4 beim HSV steht Bayer Leverkusen vor der Vollendung seiner Selbstzerstörung.Trainer Hörster schwenkt schon mal die weiße Fahne, und Manager Calmund fehlen die Worte

Bayer-Trainer Hörster: „Nach der Leistung heute habe ich aufgegeben“

aus Hamburg OKE GÖTTLICH

„Flach anpassen und nachrücken.“ Die von Bayer-Trainer Thomas Hörster ausgegebene Taktik für das Spiel gegen den HSV klang missverständlich, kommt sie doch einer Situationsbeschreibung der Leverkusener Ballfertigkeiten recht nah. Dem Team von Hörster darf, was die Umsetzung des Konzepts angeht, kein Vorwurf gemacht werden. Tatsächlich passte es sich bei dem 1:4 einem Niveau dermaßener Flachheit an, dass für ein sicheres Nachrücken in der Zweiten Bundesliga sorgen wird – wenn man den Ausführungen und Gesten der Verantwortlichen bei Bayer nach dem Spiel Glauben schenken darf.

Die Spieler schützten sich durch selbst auferlegtes Redeverbot vor sich selbst oder versuchten, durch gequälte Mienen Mitleid bei den Fragestellern zu wecken. Letztlich erbarmte sich Kapitän Carsten Ramelow doch, seine walkmanunterstützte Isolation aufzuheben, um Antworten zu liefern, die noch mehr Fragen aufwarfen: „Das ist eine absolute Katastrophe“, sagte er. Angesichts der fußballerischen Leistung ist diese Einschätzung sehr zurückhaltend formuliert. Und weiter: „Jetzt haben wir keine Argumente mehr.“ Erstaunlich, wären die in Form von sechs möglichen Punkten bei den verbleibenden Spielen des derzeitigen Tabellensechzehnten gegen 1860 und Absteiger Nürnberg doch auf dem Fußballplatz lieferbar. Ramelow: „Jeder Spieler muss sich fragen, ob er alles gegeben hat?“ Holla, abseits des Feldes liefert Ramelow der Öffentlichkeit nun die Vorlagen, auf die man in der Leverkusener Offensivabteilung (Hörster: „Nach vorn waren wir an Harmlosigkeit nicht zu überbieten“) über 90 Minuten vergeblich gewartet hat. Liegt es wirklich im Rahmen des Möglichen, dass sich Profis nicht alles abverlangen, um sich durch attraktive Ablösefreiheit im Falle eines Abstiegs einem neuen Verein für die kommende Saison anzunähern?

Angesichts sich verdichtender Gerüchte über Gespräche von Neuville, Butt und Schneider mit Hertha, Bremen oder Dortmund wird sich in den kommenden Wochen herrlich spekulieren lassen. Der Wahrheit über eine vermaledeite Saison wird man so nicht auf die Schliche kommen, selbst wenn für oberflächliche Beobachter die präsentierte Wahrheit auf dem Platz für voreilige Schlüsse reicht. Es dauerte keine sieben Minuten, bis sich Bernd Schneider dafür entschied, das Feld lieber wieder verlassen zu wollen. Nach einem Foul an Bernd Hollerbach rüttelte er mit der Kraft seines gesamten Frusts am Hals des Hamburger Verteidigers Tomas Ujfalusi, sodass er nach seiner Einwechslung zur zweiten Halbzeit gleich wieder in der Kabine verschwinden konnte. Wenigstens nahm er Ujfalusi gleich mit, wahrscheinlich weil Schiedsrichter Hellmut Krug eindrucksvoll von der Aussichtslosigkeit der Leverkusener Handlungen überzeugt worden war, dass er die angespannten Leverkusener Gemüter nicht noch dem Stress einer numerischen Unterlegenheit aussetzen wollte. Geholfen hat auch diese Maßnahme nichts. „In der Kabine war eine Stimmung wie auf dem Friedhof“, gab Thomas Hörster preis.

Mit seinen Ausführungen gibt der zuständige Coach den Gradmesser für Leverkusens gefühlte Tabellensituation. Weswegen diese bereits zwei Spieltage vor Ende der Entscheidungsfrist stimmungstechnisch so weit unter null und fußballerisch hinter dem rettenden 15. Tabellenplatz liegt, bleibt das Geheimnis Hörsters. „Nach der Leistung heute habe ich aufgegeben. Das war eine Vorführung“, sagte Hörster allen Ernstes. Manager Reiner Calmund dürfte an solchen Sätzen verzweifeln. An Aufmunterung für das psychologisch angeschlagene Team hat Hörster nichts zu bieten. Im Gegenteil. „Rumbrüllen bringt nichts mehr. Ich habe mit mir selbst am meisten zu tun, um das alles zu verarbeiten“, lautet Hörsters Motivationskonzept. Da liefert selbst Sportdirektor Jürgen Kohler Grund für mehr Optimismus: „Solange noch ein Strohhalm da ist, klammere ich mich dran“, floskelte er vor sich hin.

Sorgen sollte man sich um die neuerdings sehr knappen Ausführungen Calmunds machen. In nur eineinhalb Minuten analysierte er das Spiel vor der Kamera. „Vierzig Punkte sind nach wie vor realistisch. Entscheidend ist, das wir uns anders präsentieren müssen.“ Ob ein ausgedehntes Saufgelage zur Zusammenführung des Teams helfen würde, musste Hörster dann auch noch beantworten. „Dann hätten wir 15 Tore bekommen.“ So war das mit dem flach Anpassen sicher nicht gemeint.

Hamburger SV: Pieckenhagen - Fukal, Hoogma, Ujfalusi, Hollerbach (57. Jacobsen) - Maltritz, Wicky - Mahdavikia, Cardoso (54. Hertzsch), Barbarez - Romeo (89. Meijer) Bayer Leverkusen: Butt - Ojigwe, Juan, Lucio, Placente - Bastürk (78. Babic), Balitsch, Ramelow - Neuville (64. Franca), Berbatow, Bierofka Zuschauer: 51.629, Tore: 1:0 Barbarez (18.), 2:0 Romeo (55.), 2:1 Balitsch (88.), 3:1 Meijer (90.), 4:1 Jacobsen (90.), Rote Karten: Ujfalusi (52./Tätlichkeit) / Schneider (52./ Tätlichkeit)