Nervenärzte fürchten um Existenz

Neurologen protestieren: Weil sie aus medizinischen Gründen meist ihre Budgets überschreiten, sollen sie persönlich haften

Bremen taz ■ Die Bremer Nervenärzte schlagen Alarm. Einige von ihnen fürchten um ihre Existenz. Denn die Medikamente, die sie verordnen, sind bis zu zehnmal teurer, als das Budget erlaubt. Das Problem: Die billigen Alternativen haben oft mehr Nebenwirkungen. Nun sollen einige Ärzte persönlich haften. Die rund 25 im Bremer Landesverband Deutscher Nervenärzte organisierten Praxen gehen jetzt an die Öffentlichkeit: Am Samstag, 27. März, um 10.30 Uhr im World Trade Center informieren sie gemeinsam mit Patientengruppen und Angehörigen über ihre Arbeit und die anstehenden Probleme. Der Nervenarzt Dr. Wilfried Lietzau und seine Kollegin Beate Hüttemann (Fotos) sprechen im taz-Interview über die Folgen der Budgetierung.

taz: Was ist Ihr Anliegen?

Dr. Wilfried Lietzau: Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass wir mit den Richtgrößen, den Budgetierungen unserer Medikamente so gedrückt werden, dass wir eigentlich keine moderne Arzneimitteltherapie machen könnten. Wir haben bisher das verordnet, was medizinisch notwendig war. Damit werden die Behandlungen aber teurer.

Beate Hüttemann: Wir wollen auch öffentlich machen, dass hier nicht die Ärzte die Bösen sind.

Können Sie ein Medikamentenbeispiel nennen?

Lietzau: Psychose-Patienten haben früher Medikamente bekommen, die viele Nebenwirkungen hatten – beispielsweise Haldol. Damit waren sie häufig sehr eingeschränkt. Neue Medikamente, die viel weniger Nebenwirkungen haben, sind aber um ein Vielfaches teurer.

Und werden von den Kassen nicht bezahlt?

Lietzau: Wir haben pro Patient und Quartal ein Budget zwischen 60 und 80 Euro für Medikamente. Unser Honorar beträgt übrigens pro Patient und Quartal 45 Euro. Wenn wir neue Medikamente verschreiben, kann es schnell passieren, dass wir dieses Budget um das Fünf- oder auch Zehnfache überschreiten. Das müssen wir jeweils begründen. Jetzt ist es aber so, dass wir von Regressen bedroht sind, also gegebenfalls persönlich dafür haften müssen. Das kann für Praxen existenzbedrohend sein.

Gibt es konkrete Fälle?

Lietzau: Durchaus. Bisher wurden in Bremen noch keine Regresse durchgezogen. Aber sie wurden jetzt angedroht.

Wenn Sie also im Rahmen bleiben wollten, würden Sie sich auf einem Stand von vor 30 Jahren bewegen.

Lietzau: Genau.

Wer ist schuld – die Kassen?

Hüttemann: Die Zahlen sind das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen. Wenn wir aber in diesem Rahmen blieben, könnten wir vieles nicht so behandeln, wie es medizinisch möglich ist: Depressionen, Psychosen, Epilepsien oder Multiple Sklerose. Durch die Budgetierung droht, dass Menschen Fortschritte vorenthalten werden.

Sind die neuen Medikamente wirklich so hochwertig, dass sie ihren Preis verdienen?

Lietzau: Die Preispolitik der Pharma-Industrie lässt sich sicher kritisieren. Aber die Medikamente sind natürlich auch das Ergebnis neuer Forschungen – so zumindest werden die Preise begründet. Ob im Einzelfall der hohe Preis immer begründet ist, kann ich nicht beurteilen.

Was müsste sich ändern?

Lietzau: Wir möchten eine Medikamentenbehandlung machen können, die dem Standard entspricht. Besonders teure Medikamente sollten aus dem Budget herausgenommen werden. Derzeit ist es so, dass eine politische Entscheidung letztlich den Ärzten zugeschoben wird.

Hüttemann: Man könnte ja mal fragen, welcher Politiker heute sein Kind mit alten Haldol-Präparaten behandeln lassen würde. Ich bin sicher: keiner.

Fragen: Susanne Gieffers