Jobben statt büffeln

Angesichts der neuen Studiengebühr sehen sich Betroffene in Existenznot und gehen statt zur Uni auf Arbeitssuche. Studentenberatung überlaufen

„Wegen der Studiengebühr wird sich die Abgabe meiner Magisterarbeit wohl verzögern“

Von KRISTIN JANKOWSKI
und MARIEKE KRAFT

Nicht nur draußen vor dem Hauptgebäude der Universität weht ein kalter Wind – auch drinnen herrscht eisige Stimmung. Dort drängen sich Dutzende Studierende vor dem Studentensekretariat, viele sehen verzweifelt aus. Grund für die Aufregung sind die neuen Gebühren für Langzeitstudierende in Höhe von 500 Euro pro Semester. Die Abgabe zwingt die Betroffenen zu drastischen Einschnitten, manchen gar zur Exmatrikulation. Auch Bianca Percic kann sich die Gebühr nicht leisten. „Im vergangenen Semester“, sagt die Ethnologiestudentin, „hatte ich sieben Jobs, damit ich meinen Lebensunterhalt bestreiten konnte.“ Die Gebühr drohe sie „zum Sozialfall zu machen“.

Percic kommt tief frustriert aus dem Studentensekretariat. Sie war gleichzeitig mit sieben anderen bei einem der Berater, die wegen des Andrangs nicht mehr individuell helfen können. Die 28-Jährige fällt unter das Gesetz, das zum 1. April erstmals Gebühren für jene veranschlagt, die ihre Regelstudienzeit um vier Semester überschritten haben. Obwohl Percic mit acht Fachsemestern in Ethnologie noch gar nicht so weit ist, muss sie zahlen. Die Krux: Die Eimsbüttlerin ist im 16. Hochschulsemester eingeschrieben. Dass sie sich einst nach sieben Semestern in Gebärdensprache für den Wechsel entschied, kommt sie jetzt teuer zu stehen. Denn die Semester beider Studiengänge werden nach dem Gesetz addiert. Percic: „Das ist Abzocke.“

Auch ihre Freundin Julie Vogelsberger muss jetzt für einen Fachwechsel bezahlen. Dabei steht nur noch die Magisterarbeit an, um das Studium abzuschließen. Jetzt ist die Examenskandidatin statt zu büffeln auf Jobsuche, da sie kein Erspartes für die Gebühr hat. Sie sagt: „Die Abgabe meiner Magisterarbeit wird sich wohl verzögern.“

Vogelsberger und Percic müssen nicht nur den Fachwechsel, sondern auch ihr Engagement im Fachschaftsrat teuer bezahlen. Das habe Studienzeit gekostet, räumen beide ein. „Wenn man sich aktiv für seine Rechte in der Uni einsetzt, wird einem daraus ein Strick gedreht“, so Percic bitter. Manchmal komme es ihr so vor, als wolle die Uni per Strafgebühr Studierende zügig für den Arbeitsmarkt „heranzüchten“. Auf der Strecke bleibe „kritisches Reflektieren und eigenständiges Denken“. Zugleich sei das Angebot der Hochschule kaum die Maut wert. „Für die miserable Lehrmittelausstattung der Uni“, so Percic, „sehe ich es nicht ein, 500 Euro zu zahlen.“

Aber nicht nur die Geldnot lässt viele verzweifeln. Für große Verunsicherung der rund 6.400 Betroffenen sorgen zudem die mehrfach korrigierten Erlassanträge für die Gebühr. Zuerst kamen bei Percic und Vogelsberger gelbe Briefe ins Haus, dann rote. Auch die rief das Zentrum für Studierendenangelegenheiten jetzt zurück mit dem Hinweis, die Gebührensatzung sei um Befreiungsgründe erweitert worden, es starte ein neues Anhörungsverfahren. Wann genau die dritte Version verschickt wird, ist indes unklar. „Die chaotische Umsetzung geht auf Kosten der Studierenden“, rügt die Vorsitzende des AStA, Jenny Weggen. So würde die Uni die Betroffenen nicht ausreichend über Befreiungsgründe informieren. Um das Informationsdefizit aufzufangen, biete der AStA Rechts- und Sozialberatung an.

Derweil fordern die Studierendenvertreter im Akademischen Senat einen „Widerspruchs-Ausschuss“ für Härtefälle wie die von Bianca Percic und Julie Vogelsberger. Für die Studierenden in dem Selbstverwaltungsgremium erneuert Golnar Sepehrnia die strikte Ablehnung jeglichen Bezahlstudiums: „Bildung und Wissenschaft müssen in einer Demokratie für alle Menschen kostenlos und jederzeit zugänglich sein.“