Wurzeln in Asbest

Bilder einer Reise in die Vergangenheit: Der Fotograf Florian Schwarz zeigt im Petra Rietz Salon seine Arbeit über die russische Kriegsgefangenschaft seines Großvaters

Asbest ist eine Stadt. Jenseits des Urals liegt sie in den Ausläufern des Grenzgebirges zwischen Europa und Asien, unweit von Jekaterinburg, wo einst die russische Zarenfamilie ermordet wurde. Zwei Jahre seines Lebens verbrachte Leo Dunz dort in Kriegsgefangenschaft, nachdem der deutsche Soldat im Januar 1945 bei Posen von russischen Truppen gefangen genommen worden war. Sein Enkel, Florian Schwarz, hat sich auf Spurensuche begeben und ist den weiten Weg nach Asbest mit der Bahn nachgereist. Die Bilder der Reise sind nun unter dem Titel „wohinundzurück“ im Petra Rietz Salon in Berlin-Mitte zu sehen.

Im Salon, der sich selbst in der Tradition der literarischen Salons des 18. und 19. Jahrhunderts sieht, wird seit Anfang 2006 zeitgenössische Fotokunst präsentiert. Außerhalb der Öffnungszeiten dient er Petra Rietz als Wohnzimmer, was dem großen Ausstellungsraum mit Blick auf den Koppenplatz eine familiäre Atmosphäre verleiht. Und somit die perfekte Umgebung schafft, in die Familiengeschichte des Künstlers einzutauchen. Unter einer Glasplatte liegt das Foto des Opas, der starb, als der heute 29-jährige Schwarz 14 Jahre alt war. Der junge Mann in Uniform lächelt verhalten. Es ist dieses Bild, das den Fotografen animierte, den Weg seines Großvaters in die Kriegsgefangenschaft nachzuverfolgen. Mithilfe des sowjetischen Kriegsgefangenenarchivs in Moskau und des Wehrmachtarchivs in Berlin gelang es ihm, die 3.000 Kilometer lange Route zu rekonstruieren, die die Soldaten damals zurücklegen mussten. Dann machte er sich selbst auf die Reise. Elf Wochen, begleitet von einer Dolmetscherin und seiner Kamera.

Die Bilder, sowohl schwarz-weiß als auch in Farbe, wirken melancholisch. Sie zeigen sozialistische Wohnblöcke ebenso wie heruntergekommene Bunker; auf einem Porträt hat sich eine junge Russin auf der harten Sitzbank eines Zuges zum Schlafen zusammengerollt. Es ist das Osteuropa der Moderne, das Schwarz vorfand. „Ich suchte nach Spuren, aber es gab keine“, kommentiert er seine Reise. Dennoch habe sie ihn seinen Wurzeln näher gebracht.

Womit Floria Schwarz sich ein Kapitel im Buch mit dem Titel „Wurzeln“ gesichert hat, das Petra Rietz pünktlich zur neuen Ausstellung in ihrem Salon und dem Monat der Fotografie herausgegeben hat. Es stellt den ersten Band einer neu ins Leben gerufenen Reihe dar, die ab sofort die Ausstellungen im Petra Rietz Salon begleiten soll. „Wurzeln“ vereinigt die Arbeiten der sieben Künstler, die in den vergangenen zwei Jahren in der Wohnzimmer-Galerie ausgestellt haben. Anhand kurzer Texte und exemplarischer Fotos kann man verfolgen, wie Künstler unterschiedlichster Nationen sich auf verschiedenen Wegen auf die Suche nach ihren Wurzeln gemacht haben. Eine Lektüre, die einen auch selbst „wohinundzurück“ wirft.

JULIANE WIEDEMEIER

wohinundzurück, bis zum 5. Dezember 2008 im Petra Rietz Salon, Koppenplatz 11a, Mi.–Fr. 16–18 Uhr und nach Vereinbarung: www.petrarietz.com. „Wurzeln“ ist im Kerber Verlag, Bielefeld erschienen, 28 €