Bedeutung surrt weg

Die Philosophie Performance Gruppe Aussen vergleicht heute Abend auf Kampnagel in „Derrida und die Fliege“ die Suche nach allgemeingültigen Wahrheiten mit einer verzweifelten Jagd

ZuschauerInnen hinterlassen Bedeutungsspuren in Form ihrer Handschrift

von KATRIN JÄGER

Der Philosoph Jacques Derrida macht es sich in seinem Sessel bequem und greift zum Buch. Doch er kann sich nicht auf den Text konzentrieren. Denn eine Stubenfliege macht ihn nervös. Hartnäckig nimmt sie die Aufmerksamkeit des gelehrten Mannes gefangen. Plötzlich saust sie in sein linkes Ohr, fräst sich durch die Hirnwindungen und macht sich durch Derridas offenen Mund auf und davon.

Die Fliege in dieser Trickfilmszene aus der Performance Derrida und die Fliege der Gruppe Aussen beunruhigt den Menschen ebenso wie die Metaphysik, sagt Ensemblemitglied Heidi Salaverria. „Die metaphysischen Fragen nach ewigen Wahrheiten treiben alle Menschen um. Wir sind sterbliche Wesen, und da ist es nahe liegend, nach letzten Gründen zu suchen.“

Genau das verspricht die Metaphysik zu liefern. Bei Platon tun das die Ideen hinter den Dingen, bei Aristoteles der unbewegte Beweger, die Religionen finden den übergeordneten Sinn in einem Gott. „Wenn man dann aber genauer darüber nachdenkt, wird einem klar, dass diese Begriffe diffus werden, wenn man sie logisch herleiten will. Oder sie werden dogmatisch“, so Salaverria.

Metaphysik verhält sich also wie eine Fliege: Man jagt hinter ihr her, aber sie entzieht sich immer wieder, und das macht einen nervös. Macht die Klatsche die Fliege platt, ist sie genauso tot genau wie zu Richtlinien erstarrte, dogmatisch festgelegte Letztbegründungen. Der französisch-algerische Vielschreiber Derrida meint das auch. „Derrida kritisiert die Behauptung, dass der Sinn der Wörter hinter der Sprache liege“, erklärt Salaverria.

Bedeutung, so Derridas These, entsteht in der Sprache. Genau genommen, während man schreibt und spricht. Und nur in Abgrenzung zu den anderen Wörtern. „Das Wort Metaphysik kann ich zum Beispiel nur erklären, indem ich sage: Metaphysik ist keine Binsenwahrheit, keine Physik, keine Religion und keine Fliege“, erläutert Salaverria. Dieses Sprachverständnis führt Derrida selbst vor. Er macht die Flüchtigkeit von Bedeutung zu seiner Schreibmethode. „Wenn man Derrida liest, kann man ganz kirre werden. Dann denke ich, jetzt habe ich die Bedeutung eines Begriffes erfasst, und schwupp, ändert sie sich im nächsten Satz wieder“, sagt die Philosophin. Dies hat sie auf die Idee gebracht, Derrida mit der Fliege zu vergleichen.

Derridas Metaphysikkritik will Aussen heute Abend dem Publikum nahe bringen. Für Fliegenphobiker dürfte die Veranstaltung Therapiecharakter annehmen. Denn es wimmelt von überdimensionalen, aufblasbaren Gummibrummern. Salaverrias Klangcollage lässt die Stubenfliege dann im Duett mit Operndiva Maria Callas auftreten. Außer dem Trickfilm von Lilian Anz gibt Sara Backer in ihrem Comicstrip der Metaphysik-Fliege Gestalt. Passend zum Thema gibt es Götterspeise, und zu Tischgesprächen soll eine schriftliche Publikumsumfrage anregen. Die ZuschauerInnen „hinterlassen so ihre Bedeutungsspuren in Form ihrer Handschrift“. Für Salaverria ein wichtiger Moment, denn die Schreibbewegung spielt bei Derrida eine zentrale Rolle für das Entstehen von Bedeutung. Zu diskutieren sein wird Derridas grundsätzliches Dilemma: Wie kann er behaupten, Bedeutung sei relativ, aber das mit absoluter Gewissheit? Reicht es, so Derridas Rechtfertigung, dass ihm bewusst ist, was er tut? Über Metaphysik im täglichen Leben will Aussen übrigens auch sprechen. Zum Beispiel im Alltag von US-Präsident George W. Bush ...

Derrida und die Fliege: Do, 8.5., 20 Uhr, Kampnagel