ARGENTINIEN: DIE MILITÄRDIKTATOREN ERWARTET NOCH GERECHTIGKEIT
: Mit Flugobst gegen die Amnestie

Nicht erst seit sich die Gerichte wieder für die Verbrechen der Militärdiktatur interessieren, sieht man in Argentinien kaum jemanden in Militäruniform auf der Straße laufen. Das Militär ist geächtet – eine sehr gesunde Haltung. Mehr als das: In keinem anderen Land Südamerikas hat die Aufarbeitung der Diktaturen der 1970er- und 1980er-Jahre so konsequent stattgefunden wie in Argentinien, und zwar juristisch und gesellschaftlich.

Das ist bemerkenswert, hatten doch viele Argentinier der Militärjunta vor dem Falklandkrieg gegen Großbritannien noch zugejubelt. Doch nach der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1986 war Argentinien das erste Land, das seine Diktatoren vor Gericht stellte und verurteilte. Danach allerdings wurde die juristische Aufarbeitung der Geschichte eingestellt: Begnadigungen und ein Gesetz über Befehlsnotstand amnestierten die Militärs.

Ein Schlussstrich war das jedoch nicht: Zu wach ist die Gesellschaft, zu präsent sind die Erinnerungen. Jetzt haben Kongress und Senat die Amnestiegesetze aufgehoben, vom Obersten Gerichtshof wird Ähnliches erwartet. Dann ist der Weg frei für neue Verfahren gegen die Generäle und Offiziere – und auch die Auslieferung des Generals Videla nach Deutschland wird dann nicht nötig sein. Dies ist das Ergebnis von gesellschaftlichem Bewusstsein und vom Druck der Straße.

Nicht alle südamerikanischen Gesellschaften können das von sich behaupten. In Chile etwa ist das Militär seit der Rückkehr zur Demokratie noch immer ein unantastbarer Machtfaktor, und auf der Straße wird für Exdiktator Augusto Pinochet gebetet, wenn ihm ein Richter Böses will. Weder wurde er auf der Straße geohrfeigt noch mit faulen Früchten beworfen. Anders in Argentinien: Mit schöner Regelmäßigkeit müssen ehemalige Militärs auf der Straße vor Flugobst in Deckung gehen oder dabei zusehen, wie ihre Häuser beschmiert werden. Es wäre daher nur logisch, dass der nächste Schritt die Aufhebung der Amnestiegesetze ist. Die Militärs säßen dann vielleicht schon bald, wo sie hingehören: im Gefängnis. Und zwar in ihrem eigenen Land. INGO MALCHER