Schlüss mit Süpkültür

Best of einer Berserker-Biografie: Feridun Zaimoglu erzählte im LCB aus seinem Leben und präsentierte nebenbei seinen neuen Erzählungsband „12 Gramm Glück“

Das Leben schreibt meist die schlechtesten Geschichten. Schwach konstruiert, auf lange Strecken redundant und am Ende: ohne Sinn. Ganz anders das Schriftstellerleben des Feridun Zaimoglu: Da gab es bislang viel zu bestaunen, da schaute man gerne rein, auf eine steile These und ein bisschen Publikumsbeschimpfung: „Ich scheiß auf eure Süpkültür“, schallte es einem zu Beginn seiner Karriere entgegen, zuletzt, in „German Amok“, durften sich dann auch die Hochkultur-Schmöcke ihr Päckchen abholen. Ein beklatschtes und schulterbeklopftes Deutschtürkenleben, das, glaubt man dem Autor, jetzt erst richtig losgeht: Zaimoglu wird 40, und erst mit 40, so wusste er am Dienstagabend auf dem Podium des Literarischen Colloquiums in Berlin zu berichten, erst mit 40 wird man wirklich zum Mann.

Der lange Weg dorthin, vom Kind zum Mann, stand dann auch im Mittelpunkt des Abends: ein von Hubert Winkels souverän moderiertes Anekdoten-Feuerwerk, mit Zeit-Feuilleton-Chef Jens Jessen und Volker Weidermann von der FAS als prominenten Stichwortgebern. Und was gab es nicht alles zu erzählen: von den selbst gestrickten Pullundern seiner Jugend, die jeglichen sexuellen Kontakt von vornherein unterbanden; von der Unmöglichkeit, an Türstehern vorbeizukommen, und den Anstrengungen, trotzdem nicht „den bekümmerten Ethnier zu mimen“; von den Zuhältern und Kleinkriminellen, die seine „Kanak Sprak“ inspirierten, und nicht zuletzt von seinem jahrelangen Parforceritt durch die Feuilletons der Republik.

So wurde der Abend ein fast zweistündiges Best-of einer Berserker-Biografie, mit punktgenauer Pointentaktung, die Jens Jessen bei jedem Lacher stolz ins Publikum grinsen ließ, als sei der Bewunderte sein eigener Sohn. Da musste die Stimmung während der anschließenden Lesung aus „12 Gramm Glück“ (KiWi) zwangsläufig ein wenig abkühlen – und das nicht nur, weil Zaimoglu seit dem Ende der Kanak-Sprak-Phase den Gebrauch allseits beliebter Trademark-Neologismen wie „Zickenpuschen“ und „Effektsmog“ erheblich gedrosselt hat. So schön wie die Geschichte des Mannes, den 38 Tage vor seinem geplanten Selbstmord die Liebe erlöst, auch erzählt war – es schien trotzdem, als sei Zaimoglus parolenbefeuerter Aufstieg vom Gastarbeiterkind zum „deutschen Dichter“ (FAS) unterm Strich die bessere, die größere, die immer noch wichtigere Story.

Da konnten Jessen und Weidermann noch so sehr beteuern, wie wunderbar ihnen der neue Erzählband gefallen habe – am Ende verrieten ihre „kleinen Einwände“ (ein bisschen Kitsch hier, ein paar Klischees dort), die doch wahrnehmbar mit ihrer „großen Bewunderung“ kollidierten, wie weit Zaimoglu immer noch davon entfernt ist, einfach nur der große „deutsche Dichter“ zu sein, als den man ihn sich neuerdings imaginiert.

Keine Frage: Man braucht ihn als begnadete Rampensau, als Standleitung ins deutsche Unterbewusstsein, als Essayisten, der zuverlässig noch das verschnarchteste Feuilleton durchfeudelt. Man braucht ihn, weil nur er den verantwortungsvollen „Posten“ (Jessen) bekleiden kann, den er sich selbst geschaffen hat.

Als Dichter jedoch, und das ist der feine Unterschied, will man ihn brauchen. Man will es wirklich, auf der Bühne wie im Publikum, und wartet dabei insgeheim auf den Roman seines Lebens. Das wäre er dann: der große deutsche Bildungsroman.

CORNELIUS TITTEL