„Ich habe mir nur das Verbotene gemerkt“

Er will ganz andere Antworten geben als die, die sich die Kultusminister wünschen – und trotzdem Recht haben. Der Kabarettist Frank-Markus Barwasser hat fürs Abi gebüffelt. Sein Alter ego „Erwin Pelzig“ stellt stets Gegenfragen und Barwasser bedauert, dass Schule nicht fördert, was wirklich Spaß macht

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

taz: Sie haben fürs Kabarett versucht, aktuelle Abiturfragen zu lösen. Haben Sie etwas gelernt dabei?

Frank-Markus Barwasser: Ich habe festgestellt, dass ich genau die Sachen noch weiß, von denen die Lehrer damals sagten: „Das müsst ihr euch nicht merken.“

Zum Beispiel?

Das kann ich hier nicht wiedergeben.

Wieso nicht?

Na ja, also, die Zeder steht im Libanon, auch Cäsar onanierte schon. Oder dass Kaiser Wilhelm II. eine Zangengeburt war und orthopädische Schuhe tragen musste. Alles hängen geblieben. Dafür habe ich mich brennend interessiert! Vielleicht müssten die Lehrer ihren Schülern einfach nur sagen, merkt euch nicht alles, was ich erzähle. Wahrscheinlich mag dann aber keiner mehr zur Schule gehen.

Und was hat Ihre Figur „Erwin Pelzig“ aus dem Abiturwissen 2003 gezogen?

Er weiß jetzt, dass man ein Hemd mit einer inneren Schicht von Polyprophen nicht bei neunzig Grad waschen darf. Das wusste er zwar vorher auch, weil’s ja im Kragen steht, aber nun ist ihm der chemische Zusammenhang klar. Toll! Er weiß jetzt auch, dass Norwegen zu den reichsten Ländern der Erde gehört und dass Kaiser Wilhelm II. obendrein Ohrensausen hatte. Wussten Sie, wie man ausrechnet, wie viele rechnerische Möglichkeiten es gibt, vier Mäntel an acht Haken zu hängen?

Und?

Eine Abi-Aufgabe im Fach Mathematik lautete: Eine Familie bestehend aus Vater, Mutter, Sohn und Tochter gehen in ein griechisches Restaurant zum Essen. An der Garderobe sind acht Haken frei. Jeder hängt seinen Mantel an einen leeren Haken. Wie viele Möglichkeiten gibt es, wenn die Mäntel alle unterscheidbar sind?

Klingt kompliziert.

Ich konnte bei meinem Abitur schon keine Statistikaufgaben lösen. Deshalb meine Antwort heute: Meistens ist gar kein Platz an der Garderobe. Gerade beim Griechen. Und hinterher stinkt alles nach altem Fett. Vielleicht ist ja Sommer und die haben keine Mäntel dabei! Oder was ist, wenn nur drei einen Mantel dabeihaben? Dann haut die ganze Aufgabe nicht hin.

Das wird den Prüfern aber gefallen – Fragen mit Gegenfragen zu beantworten.

Die Gegenfrage ist das Prinzip der „Pisa-CD“: Gibt es nicht vielleicht ganz andere, relativ richtige Antworten?

Haben Sie welche gefunden?

Ja, diese blöde Frage in Ethik zum Beispiel. Ob es moralisch legitim ist, von einem so genannten Schwarzfahrer in öffentlichen Verkehrsmitteln ein erhöhtes Beförderungsgeld zu verlangen. Vielleicht muss er ja die Tram nehmen, um sein armes altes krankes Mütterlein aus dem Bett zu heben? Das ist doch dann eine gute Tat und gleicht das Schwarzfahren wieder aus! Wie viele Menschen haben ein Ticket und sind im Leben Schweine. Ich frag mich das oft, wer da vielleicht neben mir sitzt: Kriegsverbrecher, Vergewaltiger, Menschenfresser. Alle mit Fahrkarte. Da sagt keiner was.

Der Kabarettist also als Mensch mit gesundem Menschenverstand?

Ja, aber ganz anders. Bei einer Aufgabe gilt es, einen Text des Philosophen Seneca zu übersetzen. „In homine quid est optimum? Ratio: hac antecedit animalia, deos sequitur.“ Zu deutsch: „Was ist am Menschen das Beste? Die Vernunft. Durch sie ist er den Tieren voraus, nähert sich den Göttern.“ Seneca war bestimmt ein schlauer Kopf, aber ich glaub, da hat er’s doch etwas eilig gehabt.

Wieso?

Der Mensch ist nicht vernünftig. Er raucht, isst zu fett und zu süß, führt Krieg, heiratet oder macht Urlaub im Sauerland. Lauter so Zeug, wo man doch schon vorher weiß: Das wird nix. Der Mensch ist nicht vernünftig im Gegensatz zu den Viechern. Der Mensch baut Häuser in Überschwemmungsgebieten. Ein Vogel weiß genau, wo er sein Nest baut und wo besser nicht.

Es scheint, als wäre Bildung eine richtige Fundgrube für Sie.

Es gibt interessantere Aspekte als den 789. Witz über Lehrer zu machen. Ich finde es uninteressant, sichere Klischees zu bedienen. Mein Ansatz bei der „Pisa-CD“ war es, mal ganz andere Antworten zu geben als die, die sich die Kultusminister wünschen – und trotzdem Recht zu behalten. Aber der Humor des Lehrkörpers ist in solchen Fällen doch recht überschaubar.

Wie denken Sie über Lehrer?

Als Kabarettist bedauere ich es schon, wenn sie zur Witzfigur der Nation erhoben werden.

Konnten Sie selbst die Abiturfragen lösen?

Ich habe fachliche Beratung gebraucht und dabei festgestellt, dass ich das Abi heute niemals mehr schaffen würde. Komischerweise hab ich gelegentlich diesen Traum, dass ich noch eine Mathe-Prüfung nachholen müsse. Furchtbar!

Sie haben für die CD Ihr altes Gymnasium in Würzburg besucht. Welche Gefühle hat das ausgelöst?

Ich habe mich nicht sehr wohl gefühlt. Ich mag schon den Geruch nicht und ich halte mich auch sonst nicht gerne in Schulen auf. Die Schule hat mich zu meiner Zeit zwar nicht traumatisiert, aber ich war auch kein wahnsinnig begeisterter Schüler. Ich hatte immer den Eindruck, dass das, was ich wirklich gerne mache und wo ich Fähigkeiten verspüre, in einem Schulsystem nicht sonderlich gefördert wird.

Was meinen Sie damit?

Kreativer Umgang mit Sprache. Ich habe mich in Deutsch gerne mal überhaupt nicht ans Aufsatzthema gehalten. Da sind zwar wirklich schöne Aufsätze rausgekommen. Für die bekam ich aber ganz schlechte Noten. Man muss sich in der Schule ein- und unterordnen, und was ein bisschen zu weit oben oder unten rausragt, wird abgeschnitten.

Auf Ihrer „Pisa-CD“ steht: „Diese CD ist kein offizielles Lehrmittel“. Warum nicht?

Das fragen Sie mal besser die Kultusminister. Aber ich gehe davon aus, dass manche Nummern im Unterricht eingesetzt werden, zumindest inoffiziell. Als Einstieg ins Thema. Ich mache mich ja nicht nur lustig, sondern orientiere mich auch an den korrekten Lösungen. Und die Anerkennung durchs Kultusministerium habe ich gar nicht angestrebt.

Sondern?

Ich verstehe mein Programm gar nicht als Appell, die Schule der Spaßgesellschaft anzupassen, also immer lustig, leicht und locker. Es ist nun mal auch ganz viel harte Arbeit, sich mit Wissen zu befassen. Nur sollte der Sinn immer erkennbar sein. Andererseits läuft dermaßen viel frustriertes Lehrpersonal in grauen Strickjacken durchs Land. Dem würde ich schon etwas mehr Spaß an der Arbeit wünschen.

Spricht dafür, Ihre CD in den Lehrplan zu nehmen.

Vielleicht könnte sie die Motivation fördern. Wer die Schule hinter sich hat, wird sich mit Schaudern erinnern. Und die, die es noch vor sich haben, können hoffentlich ihre Prüfungsangst abbauen. Aber ich rate keinem, die Antworten direkt zu übernehmen. Wenn doch, möchte ich über das Prüfungsergebnis informiert werden.