Philosophie des Shopping

Walter Benjamins Passagenwerk als Marketinginstrument: Der Architekt Ron Pompei trimmt jeden Laden der Modekette Urban Outfitters, bis er aussieht wie das Zimmer einer kreativen Kunststudentin

von DANIEL BOESE

Das Video zu Avril Lavignes Hitsingle „Complicated“ zeigt Avril als moderne Flaneuse in der Shopping Mall: Skate-Kid Avril zieht mit ihren Jungs von Geschäft zu Geschäft, sie kaufen nichts, fassen alles an und amüsieren sich über erboste Wachmänner. Das Video bringt das Flanieren ohne Kaufabsicht im Dreiminutenformat auf den Punkt und macht sichtbar, was sich jedes Wochenende in den US-amerikanischen Malls abspielt. Man trifft sich zum Abhängen im Einkaufszentrum. Diese Angewohnheit der Teenager, sich im Klamottenladen zu verabreden, hat der Architekt Ron Pompei für die Modekette Urban Outfitters zum erfolgreichen Ladenkonzept weiterentwickelt.

Die 52 Urban-Geschäfte in den USA verkaufen Kleider für Jungs und Mädchen zwischen 18 und 28. Dafür trimmt Ron Pompei mit seiner Firma Pompei A. D. jeden Laden, bis er aussieht wie das Zimmer einer kreativen Kunststudentin. Die T-Shirts, Pullis und Schuhe stapeln sich nicht wie bei Gap alleine in den Regalen, sondern überall leisten ihnen noch Kerzen, Notizbücher oder ein paar bunte Kaffeetassen Gesellschaft, mit einem Preisschild, fertig zum Mitnehmen. Das Warenangebot beinhaltet nicht nur Mode, sondern den gesamten Haushaltsbedarf für die erste eigene Wohnung bis hin zu Büchern wie „Sextips for Straight Women from a Gay Man“. Urban Outfitters ist ein Jugendausstatter, der Einkaufen zum Stöbern in der Wohnung eines guten Freundes macht.

Sympathie für Kunden

Ron Pompei erklärt den Erfolg von Urban Outfitters mit der Sympathie für die Kunden des Unternehmens, die dabei sind, ihre Identität zu finden: „Wir akzeptieren jeden Menschen so wie er ist. Die Zeit zwischen 18 und 28 ist unglaublich kreativ: Jeder entscheidet, wer er sein will. Alles in einem Urban Outfitters ist dazu da, diesen Prozess zu unterstützen.“ Ron Pompei greift dazu Gedanken aus Walter Benjamins Passagenwerk auf. Benjamin untersuchte in den fragmentarischen Studien die kulturelle Bedeutung von Waren. Den Fetisch Ware, losgelöst vom Herstellungsprozess, las er als Wunschbild der Gesellschaft, das ihre Mängel und Unfertigkeiten verdeckt und verklärt. Ron Pompei wiederum liest Benjamins Passagenwerk als Marketinginstrument. Als Praktiker untersucht er die fetischisierten Wünsche der Käufer, um Räume zu schaffen, die diese Ideen dann widerspiegeln.

Um die Bedürfnisse der jungen Käufer zu erfüllen, versucht er sich mit seinem Team aus Kreativarbeitern in sie einzufühlen: „Wir benutzen Psychographics statt Demografie. Das heißt, Einkommen, Bildung, all das ist nicht so wichtig. Wir interessieren uns viel mehr für die Werte unserer Kunden.“ Die Ladenfläche eines Urban Outfitters wird so zum Experimentierfeld für deren noch unfertige Weltanschauung: „Die Produkte sollen ihnen helfen, sich selbst auszudrücken.“ Gleichzeitig sieht Ron Pompei das spätkapitalistische Modeunternehmen Urban Outfitters wieder als Händler im ursprünglichen Sinn: „Man sollte nicht nur das Verkaufen sehen, sondern genauso den Handel. Früher brachten die Kaufleute nicht nur Teppiche von ihren Reisen aus dem Orient mit, sondern auch Geschichten und Wissen, zum Beispiel die Null.“

Nachdem die flächendeckende Verbreitung der Malls in den USA weitgehend alles Leben in den Innenstädten zerstört hat, sollen die vornehmlich in den Inner Cities gelegenen Urban Outfitters Läden den Markt als sozialen Ort wieder auferstehen lasssen. Wenn Pompei seine Geschäfte so plant, dass „man sich dort wohl fühlt, ohne etwas zu kaufen“, wie er sagt, dann hat er verstanden, was den Marktplatz zum Ort des Austauschs macht. Bei ihm wird der Laden zum Erlebnisraum, den Pompei so gestaltet, dass er vom Käufer aktiv mit Bedeutung gefüllt werden kann: „Unsere Läden brauchen den Kunden als Performer, der die Erfahrung in seinem Kopf vervollständigt.“

Während Rem Koolhaas mit dem Prada-Store auf dem Broadway in Soho einen Raum geschaffen hat, der trotz aller multimedialen Elemente doch nur die Produkte quasi museal ausstellt, besitzt jede Urban-Filiale vor allem Platz für die Interaktion der Käufer untereinander und mit den Produkten. Vom Flirten auf den riesigen Treppen über die Suche nach einem Identitätsentwurf zwischen Tigerfellbettüberwurf und Asics Retro-Sneakers ist hier alles möglich. Das Geschäft wird zum Treffpunkt für Teenager und junge Erwachsene, weil sie in den Wohngebieten von Suburbia kaum Aufenthaltsorte außerhalb von Heim und Schule finden.

Hinter Pompeis Design-Phiolosophie steht der Versuch, das „Branding“ von Urban Outfitters zu intensivieren. Die Identität der Marke wird nur über die Läden kommuniziert, da auf Werbung komplett verzichtet wird. Den Laden bewusst zum Ort der Freizeitgestaltung und Identitätskonstruktion aufzubauen, etabliert Urban als Marke auf einem neuem Niveau, das weit über den Labelkult hinausgeht.

Dom von Florenz

Dieser Zuwachs von Macht verschärft sich beim neuesten Projekt Pompeis. Der Flagshipstore für die türkische Jeansmarke Mavi auf dem Broadway wird jetzt noch stärker zum kulturellen Ort. Installationen und eine Galerie für zeitgenössische Kunst öffnen die Räume am Union Square auch nach Ladenschluss. So kann die Marke noch umfassender im Leben ihrer Kunden wirken. Ron Pompei rückt sein Konzept in die Tradition der Kulturleistungen von Architektur wie beispielsweise Brunelleschis Kuppel im Dom von Florenz und macht damit klar, dass er es als kulturellen Gewinn für die Gesellschaft sieht, wenn Marken das Kreativpotenzial ihrer Kunden nutzbar machen.