„Bald wird Kopf ab!“

Saddam Husserl im Exil. Der Altdiktator lebt und wirkt im Café Zeuner in Traunstein

Saddam trug eine Jogginghose mit einer rasiermesserscharf gezogenen Bügelfalte

Wer Saddam Husserl in seinem metallicroten Camaro, auf dessen Motorhaube ein schwarz-rot-goldner Adler seine Schwingen breitet, sitzen sieht, hält ihn eher für einen Gebrauchtwagenhändler als für den irakischen Diktator im Vorruhestand. Dieser Eindruck wird durch die Tatsache, dass Husserl gern Jogginghosen trägt, zweifellos noch verstärkt. Allein, derlei oberflächliche Betrachtungsweisen werden der Komplexität Husserls nicht auch nur annähernd gerecht.

Ein zweiter Blick hätte zum Beispiel genügt, um festzustellen, dass seine Jogginghose eine rasiermesserscharf gezogene Bügelfalte aufweist, die so mancher Leibgarden-Uniform zur Ehre gereicht hätte. Saddam Husserls Aufzug war sorgsam geplanter Teil seiner Camouflage-Strategie, die ihn auch dem Personal seines Stammcafés Zeuner in Traunstein, wo er seine weit ausgreifenden Geschäfte in völliger Diskretion abzuwickeln pflegt, so undurchsichtig erscheinen ließ. Schon immer war Husserl für eine Überraschung gut gewesen, und stets erlagen seine Bewunderer wie Verfolger seiner orientalischen Verwirrkunst. Sicher halfen ihm seine untadeligen Umgangsformen, aus den zahlreichen Missverständnissen, zu denen sein schillerndes Wesen Anlass genug gab, Kapital zu schlagen. Missverständnisse, ebenso monströs wie der Schnauzbart, den Husserl auch im oberbayerischen Exil mit großer Würde vor sich herzutragen versteht. Jetzt saß Saddam Husserl an seinem Caféhaustisch und wartete. Er war einer, der warten konnte. Bis es an der Zeit war, loszuschlagen.

Gestern hatte Husserl nicht gewartet. Er hatte sich aus dem Camaro geschält, war würdevoll wie immer auf Inges Wohnmobil zugeschritten und war, obwohl das rote Licht angeschaltet war, eingetreten. Als er sah, dass Pitrof lahm aus den Kissen grinste, setzte er sich auf den Plüschhocker. Inge kicherte hysterisch, Pitrof verzog sich. Inge zog den Lidstrich nach. „Wo ist Stoff?“ – Saddam kam gleich zur Sache. Inge deutete auf den Einbauschrank, ohne sich in ihren kosmetischen Verrichtungen unterbrechen zu lassen. Er musste ihr wohl einige Geschäftsprinzipien in Erinnerung bringen: „Keine Stoff in Schrank, wie oft ich soll saggen …“ Husserl kam nicht dazu, seine Suada herunterzuleiern, denn Pitrof drückte ihm von hinten eine Mauser zwischen die Rippen. „Mach ’nen Pfeil, du gehst mir auf die Gelenke“, quallte Pitrof und bugsierte ihn gegen die Fototapete mit dem röhrenden Hirsch im Herbstlaub. Saddam war es nicht nach Röhren zumute. „Was du machen?“, wies er den ungebetenen Zerknitterer seiner sorgsam gebügelten Freizeitbekleidung zurecht, „wenn noch mal passiert, wird bald Kopf ab, verstehen?“ Ob dieser Drohung ließ Pitrof die Lunte sinken. Saddam ging. Hochbefriedigt über den erzielten Effekt ließ er Inge mit Pitrof zwischen Hirsch und Balz zurück.

Und nun saß er im Café Zeuner und blätterte aufgeräumt in der Zeitung. Von kriminellen Machenschaften bei diesem Gentleman-Verbrecher wie immer keine Spur. Wer ihn so unbekümmert in seiner Morgenzeitung hätte lesen sehen, wäre nie auf die Idee gekommen, dass der füllige Herr im tadellos geplätteten Jogginganzug soeben einen internationalen Anlageschwindel größten Ausmaßes erfolgreich abgeschlossen hatte. Kein Wunder also, dass er so optimistisch den Börsenbericht studierte und ganz nebenbei in seinem Fruchtquark löffelte. Er hatte den Dreh eben raus.

Bei ihm war man sich eben nie ganz sicher. Inge hatte sich schon oft in ihm geirrt. Damals, als Husserl mit einer kleinen Handbewegung seinen Assistenten einen Wink gegeben hatte, glaubte sie, Zeugin eines Mordbefehls geworden zu sein, mit dem Saddam einen unliebsamen Konkurrenten diskret aus dem Weg räumen ließ. Dabei hatten sie bloß die Badewanne neu vergolden sollen. Ein andermal, kaum weniger aufschlussreich für Saddams Charakter, war er mit seiner geliebten Schrotflinte in die Bank gegangen – um dort die Rundfunkgebühren einzubezahlen. Er machte das so oft, dass, als er einmal ohne Schusswaffe auftauchte, der Angestellte dies für einen Überfall hielt und ihm ungefragt die gesamten Bareinlagen der Filiale aushändigte, die Husserl, unberechenbar wie immer, lächelnd zurückwies. Bis heute war es noch keinem gelungen, die wirklichen Quellen seiner Einkünfte aufzudecken. Zuhälter, Hochstapler, Dealer – wenn Husserl derlei hilflose Etikettierungen hörte, lachte er nur kurz, aber heftig auf.

Als Inge endlich kam, legte sie ein kleines Päckchen auf den Tisch. Endlich – die Anthrax-Pastillen! Saddam Husserl steckte es mit einer beiläufigen Bewegung ein und ging. Zufrieden lächelnd setzte er sich in seinen Camaro, zündete eine Zigarre an, ließ den Zwölfzylinder aufbrodeln und fuhr los. Er hatte den Dreh eben raus. Es konnte losgehen …

RÜDIGER KIND