Gebären in Mindestmenge?

Der Geburtshilfe im Achimer Krankenhaus droht das Aus, weil die landesweit geltenden Soll-Zahlen nicht stimmen. Doch die Region würde eine vorbildliche Anlaufstelle für werdende Eltern verlieren

Achim: Zeit für Gebärende, auffallend geringer Bedarf an SchmerzmittelnDer Geschäftsführer hält den Betrieb für unrentabel, er will die Fusion mit Verden

„Anfang der 90er-Jahre waren unsere Entbindungszimmer völlig überlaufen“, erinnert sich Hildegard Fahle, seit 20 Jahren Hebamme am städtischen Krankenhaus in Achim. „Die Frauen kamen sogar aus Oldenburg und Delmenhorst hierher. Wir hatten bis zu 997 Geburten im Jahr. Das war nicht grade optimal. Für die einzelne Klientin blieb einfach zu wenig Zeit.“

Inzwischen haben sich die Zahlen verschoben: Achim liegt nur noch bei knapp 400 Geburten jährlich. Aus Sicht der neun Hebammen, die sich fünf volle Stellen in der Gynäkologie teilen, ist dieser Zustand geradezu ideal. „Wir haben mehr Muße, auf die Bedürfnisse der Frauen einzugehen, als die Kolleginnen in anderen Kliniken“, erklärt Katrin Petersen, die seit fünf Jahren in Achim Geburtshilfe leistet. „Das spiegelt sich auch in einer besonders niedrigen Nachfrage nach Schmerzmitteln wieder.“

Geschäftsführer Wolfgang Nolte bewertet die Situation anders: Für ihn ist die Abteilung schlicht unrentabel. Das Land Niedersachsen fordere mindestens 100 Babys mehr, also 500 im Jahr – andernfalls müsse der Geburts-Standort geschlossen werden.

Das wäre kein Einzelfall: Eben erst wurden die gynäkologischen Abteilungen in Aurich und Norden zusammen geführt, weil sie die Mindestkapazitäten nicht erfüllen konnten. Nolte beruft sich auf die „Mindestmengenregelung“, auf das Sozialgesetzbuch, das auch Rentabilitätsgrenzen für bestimmte Operationen vorschreibt.

Die Lösung sieht Nolte in einer Fusion der Abteilung mit der Geburtsstation der Klinik in Verden, die zusammen mit Achim die „Aller-Weser-gGmbH“ bildet. Auch dort ist man deutlich von der magischen 500er-Marke entfernt.

So ökonomisch-zwingend die Argumente für eine stärkere Zentralisierung im Gesundheitswesen auch klingen: Hebamme Hildegard Fahle fürchtet, das Projekt könne in der Einrichtung von „Gebärfabriken“ kulminieren. Man könne Geburten nicht handhaben wie Blinddarmoperationen. Auch sei die Möglichkeit, ein Kind im eigenen Wohnort zur Welt zu bringen, für viele Frauen ein unverzichtbarer Bestandteil der Lebensqualität.

Zumal, wenn eine Geburtsstation einen solch guten Ruf genießt, wie die des Achimer Krankenhauses. Brigitte Kette, Hebamme in Bremen, ist voll des Lobes: „Obwohl ich selbst mit Leib und Seele Hausgeburten-Hebamme bin, habe ich Patientinnen immer gern nach Achim weiter geleitet. Dort wird wirklich Geburtshilfe praktiziert, nicht Geburtsmedizin.“ Dass die Achimer Kundschaft künftig an der Aller gebären wird, hält sie für unwahrscheinlich. Eher rechnet sie mit einem zusätzlichen Ansturm auf die Bremer Krankenhäuser.

Auch Nolte hält es für möglich, dass die Klientel in die Hansestadt abwandert. Am Konzept der Schwerpunktbildung aber führt seiner Ansicht nach kein Weg vorbei. Während Hildegard Fahle mutmaßt, der Geschäftsführer habe sich möglicherweise mit zu wenig Biss für die Alternative – eine Weiterführung der Geburtshilfe mit Beleg-Ärzten – eingesetzt, geht der in Verteidigungsstellung: „Ich hatte Ende 2002 ein anderes, übergreifendes Konzept vorgeschlagen. Die Haltung der Kassenärztlichen Vereinigung und die Rechtslage lassen aber keine Spielräume mehr.“

„Wir brauchen in der Region eine Klinik, die so viel individuelle Betreuung bietet“, hält Hausgeburts-Hebamme Kette dagegegen. „Achim ist dafür mit seinem weitgehend von Hebammen geleiteten Kreissaal vorbildlich. In Vechta würde das wahrscheinlich anders aussehen.“ Christoph Kutzer