auf angebot folgt nachfrage
: Tödlicher Welthandel

Wir sind, so scheint es, unrettbar verloren. Schon jetzt ist unser Staat keine Demokratie mehr. Die Armut nimmt zu, der Zerfall der öffentlichen Ordnung ist nicht mehr aufzuhalten. Am Ende stirbt der Staat, und die Kriminalität siegt. Die Politiker können es nicht verhindern, die Gewerkschaften schon gar nicht, ja nicht einmal die Unternehmer. Keiner hat eine Chance gegen den Weltmarkt, von dem eine kleine Kaste Superreicher profitiert, während wir anderen ins Elend stürzen.

Horst Afheldt ist geradezu besessen von der Ausweglosigkeit der Lage. Kein Kapitel, in dem uns der altgediente Kassandrist nicht von neuem den Untergang prophezeit. „Im System des freien Weltmarkts gibt es keine wirklich dauerhafte Lösung für die fundamentalen Probleme moderner Gesellschaften.“ Und von der einzigen Rettung, die er für uns noch sieht, weiß er, dass sie nicht kommen wird: der Rückfall in die Vormoderne – mit einer Schutzzollmauer um die Europäische Union, und zwar gleich für alle Produkte. Nur dann hätten wir endlich wieder Ruhe und könnten gemütlich am Fernseher betrachten, wie die Welt da draußen um Einlass winselt.

Doch so ganz will die Unlösbarkeit nicht einleuchten. Schon bei Marx haute schließlich das mit dem Zusammenbruch des Kapitalismus wegen Dauerausbeutung nicht hin. Das Argument, dass der Kapitalismus nicht funktioniert, wenn keiner mehr Geld hat, um die schönen Produkte zu kaufen, ist korrekt. Dieses Problem haben aber Wirtschaft und Gesellschaft schon ein paarmal gelöst – durch einen Wechsel von unternehmerfreundlicher Angebotsorientierung zu arbeitnehmerfreundlicher Nachfrageorientierung. So folgte der angebotsorientierten Phase des Manchesterkapitalismus eine nachfrageorientierte Phase, in der Sozialversicherung, Tarifvertrag und Massenkaufkraft erfunden wurden.

In den USA der 30er-Jahre folgte auf die Angebotspolitik Hoovers der New Deal Roosevelts, weil Hoovers Methode versagte. Wir hatten zwei Jahrzehnten Keynesianismus, und als kein Geld zum Konjunkturankurbeln mehr da war, kam die Angebotspolitik wieder. Die nächste Weltwirtschaftskrise wird das wahrscheinlich umkehren. Das passiert zwar a) nicht von allein, aber b) schon gar nicht mit resignierten Linksreaktionären.

Um seine Untergangsprognose zu stützen, geht Horst Afheldt in „Wirtschaft, die arm macht“ mit Daten und Fakten, vorsichtig gesprochen, nonchalant um. Für eines seiner zentralen Argumente – der Neoliberalismus macht die Reichen reicher und die Armen ärmer – vergleicht er in einer Grafik die Entwicklung des absoluten Einkommens aus Vermögen mit der des Pro-Kopf-Einkommens aus abhängiger Beschäftigung. Prompt steigen durch die deutsche Einheit die Vermögenseinkommen rasant (sind ja auch 16 Millionen Menschen mehr), und die Arbeitseinkommen pro Kopf sacken ab – denn die Neubundesbürger haben niedrigere Einkommen und drücken so den Schnitt.

Für einen anderen zentralen Begriff liefert Afheldt gar keinen Beleg: für den „sinkenden Weltmarktpreis für Arbeit“. Und das wohl deshalb, weil es keinen gibt. Das durchschnittliche Weltarbeitseinkommen steigt nämlich seit Jahrzehnten. Man kann den Begriff enger fassen und nur die Löhne zugrunde legen, die für Exportprodukte gezahlt werden, doch darüber gibt keine Statistik hinreichend Auskunft. Nur: So genau will Afheldt es gar nicht wissen. Schließlich verdanken wir ihm die Prognose, dass „Arbeit billig wird wie Dreck“, und die Formulierung ist offenbar zu schön, als dass er sie sich von der Realität kaputt machen lassen möchte.

DETLEF GÜRTLER

Horst Afheldt: „Wirtschaft, die arm macht. Vom Sozialstaat zur gespaltenen Gesellschaft“. Kunstmann Verlag, München 2003, 256 Seiten, 19,90 Euro