Aus allen Wolken fallen

Selten hat die Redewendung, man falle aus allen Wolken, so gut gepasst wie bei Alex MacLeans großartigem Bildband „Over – Der American Way of Life oder Das Ende der Landschaft“. Denn mit seinen Bildern nimmt einen Alex MacLean überhaupt erst einmal mit, auf Wolkenhöhe. Und siehe da, dort oben angelangt, glaubt man angesichts der von Ozeanen von Highways und ihren Zubringern erschlossenen extravaganten Wohnsiedlungen inmitten der Wüste unbedingt zu wissen, was die Stunde geschlagen hat. Man seufzt nur noch leise in Anbetracht der Golfanlagen, die sich einem Wasser- und Stromverbrauch verdanken, über den nachzudenken man sich weigert. Andernfalls käme man ins Sinnieren über das Ende der Welt.

Alex MacLeans betörend schöne Bilder sind deshalb so grausam, weil er den ganz normalen Alltag fotografiert. Er braucht keine Feuersbrünste in Malibu und Santa Barbara und keine Überschwemmungen im Missippigebiet, damit wir erkennen, dass diese Art zu bauen, sich fortzubewegen, Energie und Land zu verbrauchen, die USA ruiniert. Seine Bilder sind gleichermaßen ästhetisch wie intellektuell gesättigt. Dennoch ergänzt er jede Aufnahme penibelst mit erläuternden Daten und stellt eine wissenschaftliche Einführung vor jedes seiner Kapitel zu Lebensstil, bedrohten Wüsten, Wasserverbrauch, Abfallwirtschaft und Ähnlichem mehr. Diese Zusammenführung des ästhetischen mit dem kultur- und dem naturwissenschaftlichen Diskurs macht denn auch seine besondere Stellung in der internationalen Fotografenszene aus.

Alex MacLean ist nicht nur ein großartiger Künstler, sondern ein ebenso großartiger Artist – in der Zirkuskuppel des Himmels alles andere als ratlos. Denn obwohl er sein Flugzeug ganz alleine in fünf- bis achttausend Meter Höhe steuert, wo er es dann sich selbst überlässt, während er die Kamera packt und den geeigneten Bildausschnitt wählt, erfasst er doch die geografischen Angaben, die den fotografierten Ausschnitt in den Kontext des weitläufig überflogenen Gebiets wissenschaftlich verankern. Seit drei Jahrzehnten verfolgt er so das Bild seines Landes. Indem er es, in all seinen Widersprüchen, immer detaillierter erfasst, ist er „dabei, eine neue Art von Geographie zu erfinden, die man ‚weltbürgerliche Geographie‘ nennen könnte“, wie der belgische Architekt und Städteplaner Jean Dethier in einem Interview am Ende des Bandes sagt und meint, MacLean bestelle „sein Feld wie ein Bauer: unermüdlich“. BRIGITTE WERNEBURG

Alex MacLean: „Over“. Mit einer Einführung von Bill McKibben, Texten des Fotografen und einem Interview mit Jean Dethier. Schirmer/Mosel Verlag, München 2008. Deutsch von Christian Quatmann und Sophia Marzolff. 336 Seiten, 242 Farbtafeln, gebunden, 58 Euro