Pfeifen, Blockieren, Fegen

Anwohner und linke Gruppen protestieren in unterschiedlichen Aktionen gegen NPD-Aufmarsch in Charlottenburg. Linke bilden Blockaden. Besendemonstranten reinigen Straße nach Aufmarsch

von HEIKE KLEFFNER
und SUSANNE LANG

Ein Wundermittelchen – das wär’s. Philip Christmann drückt auf die schwarze Spritzpistole an dem gelben Plastikkanister, den er umgehängt hat und grinst, als ein paar Tropfen auf den Boden plätschern. „Insektenvernichtungsmittel“, erklärt der Demonstrant, „und zwar ein spezielles: das wirkt nur bei den Braunen.“ Damit meint er die NPD-Demonstranten, die kurz zuvor zum Olympiastadion gezogen sind. Von deren Spuren möchte Christmann die Straße reinigen. Während er auf sein radikales Wundermittelchen setzt, schaben neben ihm rote Borsten über die Straße. Ungefähr 150 Menschen, viele Abgeordnete von SPD, PDS, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP, Gewerkschaftsmitglieder und Privatleute, warten mit ihren Besen in allen Ausführungen auf den Beginn der „Besendemonstration“, zu der die Berliner Initiative „Europa gegen Rassismus“ gemeinsam mit der Bezirksregierung und der Bezirksverordnetenversammlung aufgerufen hatte. Eine symbolische Reinigungsaktion als Zeichen der Zivilcourage. „Wir lassen uns keinen Zentimeter von Berlin nehmen“, betont die Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen.

Für den im Vorfeld angekündigten „Triumphzug“ reichten die rund 1.200 Teilnehmer des NPD-Aufmarsches nicht. Vorwiegend jugendliche Naziskins aus Berlin und Brandenburg, aber auch aus Hessen und Bayern hatten sich ab 11 Uhr am Raußendorfplatz eingefunden, um mit NPD-Fahnen und antiamerikanischen Transparenten zum Olympiastadion zu marschieren. Dort wurde sich über die „Kehraus-Aktion“ der „Gutmenschen“ mokiert und zum Abschluss mit Gastrednern aus Italien und England der Schulterschluss der europäischen extremen Rechten zelebriert.

Für Sophie, Abiturientin aus Charlottenburg, verlief der Tag „mit gemischten Gefühlen“. Die 18-Jährige hatte sich gemeinsam mit Schulfreunden aufgemacht, „um gegen die Nazis zu demonstrieren“. Den Aufruf, den Rechten hinterherzufegen, fand Sophie „einfach unsinnig“. „Ich will, dass die Neonazis mitkriegen, dass sie hier nicht erwünscht sind“, sagt Sophie, als sie um 10 Uhr am Theodor-Heuss-Platz mit rund 400 anderen NPD-Gegnern aufbricht, um so nahe wie möglich an die Route der NPD zu gelangen. Ein schwieriges Unterfangen. Immer wieder wird die junge Frau mit ihren drei Begleitern von Polizisten fortgewiesen. An Absperrgittern sammeln sich Grüppchen frustrierter Gegendemonstranten. Auch die Schleichwege scheinen versperrt. Doch dann gelingt es Sophies kleiner Gruppe doch noch in die Nähe des Raußendorfplatzes zu kommen. Da hat sich die Spitze des Neonazi-Aufmarsches gerade in Bewegung gesetzt, als plötzlich aus eine Gruppe von 30 schwarz gekleideten jüngeren Männern und Frauen auf die Straße stürmt, sich an den Armen unterhakt und deutlich macht: „Die Nazis kommen hier nicht durch.“ Während Polizisten die Blockierer einkreisen, die Neonazis Parolen brüllend auf der Stelle treten und Kameraleute den Protest festhalten, steht Sophie am Straßenrand und versucht mit einer Trillerpfeife die rechten Parolen zu übertönen. Zehn Minuten später haben Polizisten die Linken abdrängt, doch Sophies Stimmung hat sich verbessert. Sie hat erfahren, dass rund 50 Gegendemonstranten an den S-Bahnhöfen Halensee und Westend ab 10 Uhr morgens die Züge in Richtung Olympiastadion blockierten. Die Anti-Nazi-Aktivisten hatten sich ganz friedlich in die S-Bahn-Türen gestellt und die Weiterfahrt verhindert. Eine Dreiviertelstunde lang liegt der S-Bahn-Verkehr brach. Als BGS-Beamte eintreffen, sind die Linken längst auf und davon. Weniger glimpflich ergeht es zwei Jugendlichen, die den NPD-Lautsprecherwagen mit Farbbeuteln verzieren wollten und dabei festgenommen wurden.

Sophie und ihre Begleiter laufen derweil hinter den Polizeiketten, die die Blockformationen der skandierenden Jungskins von aufgebrachten Bürgern trennen. Gutbürgerliche Häuser sind mit Transparenten „Keine Nazis“ verziert, Anwohner brüllen: „Verpisst euch.“ Am Olympiastadion, wo die NPD eine Runde dreht, gelingt es Sophie noch einmal, bis zu den Neonazis durchzukommen. Als sie zum x-ten Mal ihre Trillerpfeife zückt, baut sich eine Kette von Polizisten vor rund 100 linken Jugendlichen auf. Sophies Resümee: „Schade, dass der Protest nicht effektiver war.“

Für Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen ist auch die symbolische Reinigungsaktion ein Erfolg. Dass mit einem Wisch trotzdem nicht unbedingt alles gut ist, mit dieser Meinung muss sich Thiemen jedoch auch auseinander setzen. „Eine Gegendemonstration finde ich sehr wichtig,“ betont Anwohnerin Dagny Wasmund. „Aber diese Besenaktion ist lächerlich, der Sache nun wirklich nicht angemessen.“ Eine regelrecht folkloristische Veranstaltung wäre das, eine rituelle Reinigung, die mehr an kirchliche Teufelsaustreibung erinnere. „Damit kriegen wir die Nazis nicht weg“, empört sie sich. Darin sind sich die Politikerin und die Aktionsskeptikerin allerdings einig. Auch Thiemen betont, dass man sich in Zukunft weiter mit dem Problem auseinander setzen müsse. Für jetzt steht und bleibt die Symbolik: die Fotografen lassen bitten. „Noch kurz ein Bild, das ist ja schließlich das Wichtigste“, weiß einer von ihnen.