Greifen Sie ruhig zu!

Günstige Gelegenheit: Ab jetzt können Sie sich Ihr eigenes Stück Hanau kaufen. Den Preis bestimmen Sie selbst

VON KATRIN EVERS

Was wäre es Ihnen wert, wenn die Firma Siemens ihre Brennelementefabrik Hanau nicht nach China verkauft? 100 Euro? 1.000 gar? Auch mit 50 Euro oder weniger können Sie dafür sorgen, dass die Fabrik umweltgerecht entsorgt wird, statt in China atomwaffenfähiges Plutonium zu produzieren. Hanau selber kaufen also, nicht nach China verkaufen.

Dafür sammeln ab heute die „Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges und in sozialer Verantwortung“, kurz IPPNW. Ihre Idee: Dem Hanau-Besitzer Siemens ein besseres Angebot machen. 50 Millionen Euro bieten die Chinesen dem Münchner Konzern für die Plutoniumfabrik, 50 Millionen und einen Euro will der IPPNW Siemens auf den Tisch legen.

Doch das Geld muss erst mal her. Mit dem Slogan „Hanau selber kaufen“ sollen möglichst viele Hanau-Erwerber zusammenkommen. Funktionieren soll das folgendermaßen: Auf der Website www.hanauselberkaufen.de kann man sich zu einer Summe verpflichten, die man bereit wäre zu zahlen, kämen denn die 50.000.001 Euro zusammen. Bis zu 5.000 Euro können gezeichnet werden.

„Die Idee hatten wir vor ein paar Wochen“, sagt Ute Watermann, Sprecherin des IPPNW. „Die Vorstellung, dass nach jahrelangen Anti-Atom-Protesten und dem endlich beschlossenen Atomausstieg in Deutschland nun eine deutsche Fabrik in China waffenfähiges Plutonium produzieren könnte, war unvorstellbar. Die einzige Möglichkeit, dies abzuwenden, war plötzlich klar: Wir müssen Hanau selber kaufen.“

Gekauft werden soll selbstredend nicht die 90.000-Einwohner-Stadt bei Frankfurt. Gekauft werden soll die Brennelementefabrik, die – fein säuberlich in 60 Überseecontainer verpackt – in Hanau steht und nun an China verscherbelt werden soll. 60 Container, gefüllt etwa mit Mühlen zum Pulverisieren von radioaktivem Material, mit Abfallcontainern, Öfen und Pressen. Da Hanau nie in Betrieb war, ist nichts davon radioaktiv verstrahlt – was einen Kauf durch den Verein erst möglich macht. Da aber viele Teile der Fabrik Sondermüll sind, plant der IPPNW weitere 20 Millionen Euro für eine umweltgerechte Entsorgung ein.

Kommt der Kauf zustande, können die Käufer, symbolisch, einzelne Teile der Fabrik bekommen. „Ich wollte immer schon mein eigenes Hanau im Garten haben“, sagt Kabarettist Martin Buchholz, der Hanau kaufen will. Auch Liedermacher Konstantin Wecker will mit 750 Euro Hanau-Besitzer werden: „Endlich mal eine vernünftige Idee. Die Aktion spiegelt die Stimmung der Bevölkerung wider. Und wir machen das Geschäft, das eigentlich die Politik übernehmen muss.“ Tatort-Kommissar Peter Sodann, Schriftsteller Erich Loest, Greenpeace und der Bund für Umwelt und Naturschutz sind ebenfalls dabei. Auch Koalitionspolitiker fehlen nicht: Die Sozialdemokraten Hermann Scheer und Andrea Nahles sowie die Grünen Winfried Nachtwei und Hans-Christian Ströbele beteiligen sich am Kauf – was die innenpolitische Brisanz des geplanten Exportes offenbart.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat auf seiner Chinareise Anfang Dezember 2003 den Verkauf der Fabrik angekündigt. Vizekanzler Joschka Fischer (Grüne) hat als hessischer Umweltminister 1991 die Vorgängerfabrik dichtgemacht. Er beruft sich nun aber darauf, „nur nach Recht und Gesetz handeln“ zu können. Doch die Grünen sind erklärtermaßen gegen den Export, die Basis verlangt einen Sonderparteitag. „Wenn Hanau geht, geht Schröder mit“, heißt es dort schon. Auch in den Reihen der SPD gibt es massive Widerstände.

Hanau selber kaufen wäre also eine elegante Lösung: den Grünen bliebe ein Sonderparteitag erspart, eine mögliche Koalitionskrise ließe sich vermeiden, China könnte weniger atomwaffenfähiges Material herstellen – und man könnte sich sein eigenes Stückchen Hanau in den Garten oder ins Regal stellen.

Kommende Woche will Ute Watermann Verhandlungen mit Siemens aufnehmen. Die Zeit drängt: Bis Mitte März will die Bundesregierung über den Export entscheiden. „In der kurzen Zeit 70 Millionen Euro zusammenzubekommen, ist natürlich ziemlich illusorisch“, sagt Ute Watermann, die selbst 500 Euro zahlt. „Aber es haben schon Leute angerufen und gesagt, wenn ihr das macht, spende ich 5.000 Euro. Und vielleicht lässt Siemens sich ja auch runterhandeln.“ Aber man hätte doch gezeigt, dass die Deutschen den Atomausstieg und das Ziel, weltweit Atomgefahren einzudämmen, ernst nehmen.

Auch wenn aus Hanau selber kaufen nichts wird: Unter dem Motto „Stillhalten ist tödlich“ ruft der IPPNW am 20. März zu einer Demonstration in Ramstein gegen die Atompolitik der Bundesregierung auf. Denn auch in Deutschland liegen noch 65 Atomwaffen, mit der insgesamt 150-fachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.