Mancher Islam ist kein Idyll

Was ist das eigentlich: Islam, Fundamentalismus, Islamismus? Eine Begriffsbestimmung zur Erleichterung künftiger Diskussionen um Religion, Kopftuch, Kampf der Kulturen und Terrorismus

von RIZA BARAN
und MARTIN RIEXINGER

Bis vor 30 Jahren setzten sich in Europa lediglich Gelehrte mit jener Religion auseinander, die den arabischen Kulturkreis und nicht nur ihn dominiert: dem Islam. Seit der Einwanderung von Millionen Menschen aus Ländern wie der Türkei, Libanon oder Irak ist dieses Glaubenssystem Teil unseres Alltags.

Der Islam

… ist eine monotheistische Religion. Sie existiert in allen Erdteilen und zählt etwa 1,3 Milliarden AnhängerInnen. Islam heißt Hingabe an und Unterwerfung unter Gott. Wer sich Gottes Wille gläubig hingibt, der ist Muslim oder Muslima. Das Wort islam – wie auch der Begriff salam (Frieden) – leitet sich von salama (sicher sein, heil sein) ab. Im Gegensatz zum Christentum versteht sich der Islam als Gesetzesreligion, die weite Lebensbereiche auf der Grundlage von Koran und Prophetenüberlieferung (hadith oder sunna) regelt. Zwar vermitteln im Islam nicht Priester oder Institutionen zwischen den Gläubigen und Gott, doch brachte es das Selbstverständnis als Gesetzesreligion mit sich, dass sich eine Gelehrtenschaft herausbildete. Sie verwaltet das religiös begründete Rechtssystem. Das Ideal von der umma, der Weltgemeinschaft der Muslime, kontrastiert mit der Zersplitterung der Muslime in zahlreiche Strömungen, die sich jeweils nicht als richtige Muslime respektieren. Die wichtigsten sind Sunniten und Schiiten.

Fundamentalismus

… ist keine Erscheinung von politischer Bedeutung, die auf den Verbreitungsraum des Islam begrenzt ist. Der Begriff bezeichnet eine Weltanschauung, die Anspruch auf die absolute Wahrheit auf Grundlage einer religiösen Überlieferung erhebt. Damit gehen die Ablehnung, Toleranz, Pluralismus und Gewaltenteilung einher. Nicht selten wird dagegen die Anwendung von Gewalt befürwortet.

Bewegungen fundamentalistischer Prägung entstehen dort, wo die Modernisierung und Individualisierung patriarchalisch und religiös grundierte Gesellschaften herausfordern. Fundamentalistische Gruppierungen treten mit unterschiedlicher Radikalität und unterschiedlichem politischem Gewicht auch im Christen- wie Judentum auf.

Der islamische Fundamentalismus

… ist eine religiös-politische Ideologie, deren Anfänge im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert liegen. Er propagiert Orientierung an religiösen Normen und stilisiert die verklärte Frühzeit des Islam zum gesellschaftlichen Idealbild auch für die Jetztzeit. Moderne Entwicklungen wie Frauenemanzipation und Religionsfreiheit verwirft er jedoch als antiislamisch. Trotz dieser „historischen“ und rückwärts gewandten Begründungen ist er eine moderne Ideologie. Seine Vordenker entliehen bewusst Organisationsformen und manche Inhalte (Konspirationstheorien) bei Faschismus und Kommunismus.

Die ältesten islamistischen Gruppen sind die 1928 von Hasan al-Banna in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft, die heute über Ableger in den meisten arabischen Staaten verfügt, sowie die Islamische Gemeinschaft, die der islamistische Vordenker Abu l-Ala Maududi 1941 in Britisch-Indien ins Leben rief.

Im Iran gelangte 1979 Ajatollah Ruhollah Chomeini mit einer schiitischen Sonderform des Islamismus an die Macht. Der Kolonialismus, der Zerfall des Osmanischen Reiches, die Hegemonie des Westens, politische wie ethnische Konflikte sowie wirtschaftliche und soziale Instabilität trugen zu seinem Aufschwung bei. Im Westen werden unterschiedliche Begriffe wie „islamischer Fundamentalismus“, „militanter Islam“ und „Islamismus“ manchmal für dieselben, gelegentlich für verschiedene Phänomene verwendet. Eine einheitliche Terminologie hat sich bis dato nicht herauskristallisieren können.

Feindliche Moderne?

Zu betonen ist jedoch, dass etliche islamistisch orientierte Gesellschaften sich auf die technischen Errungenschaften der Moderne einlassen, vor allem in Hinsicht auf ihre ökonomische Entwicklung. Internet, Fernsehen, überhaupt moderne Kommunikationsmittel sind in Ländern wie dem Iran, Syrien oder neuerdings sogar dem Irak erlaubte Alltagsbegleiter – auch wenn Medien wie das Internet steter Zensur unterworfen sind.

Fundamentalisten wie die Taliban (in Afghanistan bis 2002) lehnten diese Annäherungen an die Moderne ab – Vergnügen (im Kino), Kommunikation (via Internet) galt als antiislamisch.