Eine Art Wundertüte

Die unsterbliche Liebe eines bauchtanzenden Stoffhasen: Das bietet nur das Label 89mm. Um Kurzfilme an den interessierten Zuschauer zu bringen, haben die Filmemacher Sebastian Krügler und Thilo Becker ein altes Medium, die Floppy Disk, reaktiviert

Die Bereitschaft, sich Filme auf dem Rechner anzugucken, ist mit dem Internet gewachsen

VON SANDRA LÖHR

Am Anfang war die Diskette. Die verwendete man bekanntlich, bevor die runden, silbern glitzernden Scheiben mit den dazugehörigen Laserbrennern Einzug hielten. Aber wer weiß heute noch, wie das wirklich war? Waren die Dinger nicht blöd, weil sie zu wenig Speicherplatz hatten, wenn man Spiele, Texte oder Sonstiges auf einen mobilen Datenträger bannen wollte? Und die ganz alten Disketten, waren die nicht sogar so groß, dass man sie biegen konnte und trotzdem dauerte es eine Ewigkeit, bis der Computer die Daten wie mit einer Schreibmaschine auf den Chip gestanzt hatte?

Was dieser kleine Exkurs in die Steinzeit des Computers mit Film beziehungsweise Kurzfilmen zu tun hat? Sehr viel, denn zum einen verhält sich der Kurzfilm zu seinem langen Bruder, dem Spielfilm, oft so ähnlich wie die biegsame Diskette zu der robusten Generation heutiger Datenträger. Irgendwie retro und mit der Aura des Überholten versehen: Früher einmal, geht die Legende, hatten Kurzfilme einen festen Platz im Kino, bevor die Werbeclips sie aus dem Blickfeld drängten. Zum anderen, weil man in Berlin seit einiger Zeit Kurzfilme auf Diskette kaufen kann. Zum Sammeln, Verschenken oder einfach Angucken. Möglich machen das die beiden jungen Filmemacher Sebastian Krügler und Thilo Becker.

„Ich fand es eigentlich schon immer schade, dass so viele gute Kurzfilme nur einmal auf einem Festival laufen und dann in der Versenkung verschwinden“, sagt Sebastian Krügler. „Und gerade in Berlin gibt es so viele gute Sachen, die nur im Untergrund existieren.“ Da müsse sich doch etwas machen lassen, fanden die beiden und gründeten vor zwei Jahren ihr Label „89mm miniumum.movies“ – eine Filmförderung der etwas anderen Art. Sie luden ihren eigenen Kurzfilm auf eine Diskette herunter und waren überzeugt, das ideale Medium für die Verbreitung kleiner und unabhängiger Filme gefunden zu haben. Zuerst wollten sie nur eigene Arbeiten auf diesem Weg zeigen, aber bald erweiterten sie den Kreis auf Filme von befreundeten Künstlern. „Das Interesse war riesengroß. Die Bereitschaft, sich überhaupt Filme in geringer Qualität auf dem Rechner anzugucken, ist ja mit dem Internet gewachsen, und wir wollten die Filme in den Alltag bringen beziehungsweise dahin, wohin die Leute ausgehen“, erklärt Thilo Becker das Konzept von 89mm.

Die Disketten werden individuell gestaltet und zum Selbstkostenpreis in Kinos, Cafés und Shops angeboten. Drei Euro kostet eine, auf die zwischen zwei und vier Minuten passen. Knapp 1.000 Exemplare von etwa 50 verschiedenen Filmen fanden bisher so ihre Zuschauer abseits der kommerziellen Vertriebswege. Aber reich wird man davon nicht und viel Arbeit bedeutet es auch, wenn man jede einzelne Diskette per Hand in eine Hülle stecken und mit einem Booklet versehen muss. Deswegen verdienen Krügler und Becker ihr Geld nebenher bei Grafik-Agenturen und Filmproduktionen. Trotz intensiver Suche und Anträgen bei Filmförderungen sind bislang keine Sponsoren aufgetaucht. Vielleicht, weil das Projekt für viele Fördergremien einfach zu schwer einzuordnen ist.

Auf den Disketten finden sich nämlich Filme quer durch alle Genres und Macharten. Vom Super-8-Stopp-Trick über Computer-Animationen bis hin zum 35-mm-Spielfilm ist alles dabei. Als Auswahlkriterium nennen Krügler und Becker nur eines: Die Filme sollen etwas Besonderes sein. Möglichst nicht langweilig, sondern skurril und charmant. „Das Ganze soll ja wie eine Art Wundertüte funktionieren. Man soll sich ja überraschen lassen.“

Schließlich haftet dem ganzen Unternehmen ja auch eine Art Performance-Charakter an, denn was passiert, wenn die Diskette demnächst endgültig ausstirbt, weil keiner mehr ein Laufwerk dafür besitzt? „Das macht nichts. Wenn in zwei Jahren die Diskette tot ist, dann machen wir eben etwas Neues“, sagt Sebastian Krügler und zuckt mit den Schultern.

Um der Vergänglichkeit ein wenig zu trotzen, gibt es seit neuestem auch eine DVD-Edition, auf der sich eine kleine Auswahl unabhängig produzierter Kurzfilme findet. Die meisten kommen aus der Berliner Szene, aber auch Frankfurter und Londoner Filmemacher sind mit dabei. Da gibt es Filme über Stoffpuppen, die bauchtanzen, da wechseln sich rasant geschnittene Videoclips mit kleinen Spielfilmen ab und es finden sich so kleine Kostbarkeiten wie „I miss you“, ein kleine, witzig-melancholische Abhandlung über die Einsamkeit und die Sehnsucht nach Zweisamkeit, unterlegt mit Musik von Barbara Morgenstern.

Im Begleittext zu dem Film „Habibe“, der es versteht, mit einigen Handpuppen eine grotesk schwül-erotische Handlung zu konzipieren, in der sich ein bauchtanzender Stoffhase unsterblich in den orientalischen Macho Habibe verliebt, erfährt man, dass die beiden Filmemacherinnen grundsätzlich mit dilettantisch wirkenden Mitteln arbeiten: „Auch während der Dreharbeiten, die im Hochsommer stattfanden, waren sie selbst fast so gelähmt vor Hitze, dass sie kaum aus dem Haus gingen, so konnte die Stimmung des Filmes umgehend in die Filmhandlung mit einfließen.“ In diesem Sinne: Save the floppy disk!

Die Kurzfilmdisketten kosten 3 €, in verschiedenen Läden erhältlich. Kontakt und Info: www.89mm.com. Die DVD „89mm_minimum.movies-Offbeat“ ist bei EFA erschienen. Am 1. 3. 04 findet die „89mm offbeat DVD Release Party“ statt, im Klub der Republik, Pappelallee 81