berliner szenen Die lange Hotelbarnacht

Schnecken checken

Am Wochenende bin ich meiner Heimatstadt wieder ein bisschen näher gekommen. Wo, hatte ich mich seinerzeit gefragt, geht Heiner Lauterbach samstagabends hin? Und Udo Lindenberg? Wie sieht es aus, wenn vor einem Hoteleingang eine sorgfältig aufgemachte Frau in Lackstiefeln wartet, über den roten Teppich zu einem Taxi geht und dort ziemlich zufällig auf einen kleinen Mann trifft, mit dem zusammen sie schnell einsteigt? Gibt es Menschen, die monatelang in Berliner Hotels wohnen und kein Wort Deutsch können, weil auf Arbeit alle nur Englisch sprechen? Und gibt es wirklich Frauen, die eine der ungefähr 30.000 Mark teuren limitierten Kirschblütentaschen von Louis Vuitton tragen und sich ernst bedanken, wenn man ihnen dafür ein Kompliment gibt?

„Ich bin Stammkundin“, sagt die Dame und lässt die Handtasche nicht los, „da habe ich eine bekommen.“ Die zweite „Lange Nacht der Hotelbars“ hat sich für mich schon deswegen gelohnt, weil es ein schönes Plastikfeuerzeug umsonst gab, dazu ein paar Toffees und im Begrüßungshotel den Welcome-Drink. „An diesem Abend trifft sich die interessante Berliner Szene mit internationalen Gästen und feiert in den schicken Hotelbars“, stand im Bar-Pass. Ich saß und sah vor allem viel allein trinkende Männer. Shuttle zum nächsten Hotel. Kempinski. Esplanade. Da brummte der Bär, aber hallo. Wie man sich traf und feierte, es war der Wahnsinn: umrandete Lippen, blondiertes Haar, Männer, die zu dritt beisammen standen. Das hier, sagt jemand nach dem Sekt in der Hyatt-Bar, ist gar nicht die Hotelbar. Auf dem Weg zur Tür noch ein Blick in dieselbe: Augen, die Schnecken checken. Verlorene Seelen. Draußen der Shuttle. Es regnet.

CHRISTIANE TEWINKEL