Der Prüfstand

Heute: Brauchen wir eigentlich noch … das Ballett?

Nachdem die Arbeitsämter an dieser Stelle, auf dem taz.mag-Prüfstand, in der vergangenen Woche eine eiskalte Dusche erlebten, geht nunmehr ein warmer Regen auf das Ballett nieder. So viel sei gleich vorweg verraten: Die Institution Ballett darf erhalten bleiben! Die taz-Leserschaft will es so.

Petra Becker aus Vaihingen etwa schreibt auf unsere Frage, ob wir das Ballett heute noch brauchen, recht fundamentalistisch: „Wir Bewunderer dieser Kunst auf jeden Fall, mal abgesehen von den Tänzern, Choreographen, Bühnenbildnern, Beleuchtern, Kostümbildnern, Schneidern (und jeweils-innen) et cetera. Lieber ‚pas de bourée‘ im Tutu als Bomben werfen.“ Das allerdings klingt ein wenig, als ob besagte Übung im Tutu auch nicht so ganz erfreulich wäre.

Dreifach entschieden reagiert Bettina Schöpe aus Augsburg. „Ja, ja, ja!“, gibt sie zu Protokoll. Allerdings: „Eine ‚vernünftige‘ Begründung dafür kann ich zwar nicht liefern, aber Ballett ist schließlich auch nicht überflüssiger als Operetten, Fußball, ‚Sports-Utility-Vehicles‘ und manche Politikerrede. Schön isses halt (meistens). Und wer soll die ganzen rosa Trikots tragen, wenn nicht niedliche kleine Mädchen, die ihren großen Vorbildern auf der Bühne nacheifern?“

Markus Bartl aus Heilbronn scheint bei Ballett eher keine niedlichen kleinen Mädchen im Kopf zu haben. „Die Frage allein“, mailt er uns, „ist erschütternd. Natürlich brauchen wir das Ballett: Wir können dem deutschen Theater nicht mit dem Geld auch noch den Sex entziehen. Wir brauchen das Ballett, die Eitelkeit der Physiognomie. Es ist die künstlerische Hochebene der Pornografie, die intellektuelle Grauzone des Voyeurismus. Für Heten wie für Schwule.“

Einige Stunden nach diesen dankenswert klaren Sätzen erreichte uns eine weitere Mail von Markus Bartl – mit noch mehr guten Argumenten für einen Erhalt des Balletts: „Nach einem halben Tag Umhergehen mit der Frage ‚Brauchen wir eigentlich noch Ballett?‘ muss ich euch noch etwas Ernsteres schicken: Bezogen auf unser deutsches Theater lautet meine Antwort: Ja, wir brauchen Ballett. Solange wir verstehen, dass Kommunikation aus geformten Möglichkeiten des Ausdrucks besteht, ist das Ballett eine der Hochformen des Tanzes, wie Verse die der Sprache sind. Das Ballett in seiner heutigen Form ist auch eine Möglichkeit der Kritik. Innerhalb erprobter Formen zu verharren ist natürlich, geradezu zwingend, will man sich nicht im willkürlich psycho-privaten Akt verlieren. Formen neu zu entwickeln und zu zeigen ist eine Herausforderung für jeden kreativen Menschen.

In Wahrheit war das Ballett fortschrittlicher als alle anderen Sparten des deutschen Staatstheaters. Aus ihm heraus kommen die Impulse für Drama und Oper, Komödie und Musical. Kein wirklichkeitsnaher Schauspieler genügt sich im Aufsagen guter Texte, kein Sänger kann mit dem bloßen Klang seiner Stimme genügen. Das Ballett ist viel mehr als der Appendix der deutschen Theatermaschine. Vielleicht gerade weil es immer ein Stiefkind war, sind der Tanz und seine Formen immer Neuentdeckungen.

Wir leiden unter Bewegungsarmut. Uns fehlt Bewegung, die etwas bedeutet. Formen in der Sprache und in der Bewegung eröffnen Freiräume. Ballett ist im besten Fall Poesie und Erotik, selbst Kleist kann nur beschreiben, was er sieht. Bewegung und Musik hingegen haben den direkten Zugang zum Herzen der Menschen. Texte und Sprache sind mehrdeutig.

Nur in der Symbiose wird sich das deutsche Staatstheater in der Trinität weiter entwickeln können. Wir müssen eine neue Kunstform schaffen, in der sich Sprache und Musik mit Bewegung vereinen kann – über das Musical und die Finanzkulturevents hinaus. Dazu brauchen wir das Ballett. Dringend. Nicht zuletzt wegen seiner Internationalität. Schauspieler dürsten geradezu nach einer wahrhaftigen Möglichkeit, sich über die Grenzen hinweg auszutauschen. Im Ballett geschieht das tagtäglich. In Zeiten der Globalisierung brauchen wir Menschen, die über die Sprache hinaus reden können. Bewegung ist internationaler als jede Übersetzung, jede Meinung. Theater ohne Ballett verlöre jeden Anspruch auf ‚Gültigkeit‘. Wir müssen es nur formen. In den Formen Ausdrücke finden, die uns im Tanz, dem Schauspiel oder in der Oper widerspiegeln. Klar brauchen wir Ballett.“ Irgendwelche Gegenstimmen? Fehlanzeige auf dem taz.mag-Prüfstand.

In dieser Woche stellen wir die Frage: Brauchen wir eigentlich noch … Coca-Cola? Ihre Antworten müssen bis Mittwochvormittag vorliegen, als Brief an: die taz, Brauchen wir? Kochstr. 18, 10969 Berlin, als Fax unter (0 30) 2 59 02-6 54, als E-Mail an fragen@taz.de