„Karneval – mach ich nie wieder“

Narrenfreie Zonen und Kneipen sind dieser Tage rar. Während fast überall der verordnete Frohsinn regiert, wird das „Café Neuss“ zum idealen Rückzugsraum für Karnevalsmüde

KÖLN taz ■ Weiberfastnacht Nachmittag: Ganz Köln versinkt im Karneval, schunkelt, singt. Ganz Köln? Nein! Das Café Neuss mitten im Kölner Agnesviertel verweigert sich standhaft dem verordneten kölschen Frohsinn.

Während in den anderen Kneipen in der Neusser Straße die Narren bis auf die Straße stehen und laut grölend ein Kölsch nach dem anderen in sich hineinschütten, herrscht in einer der wenigen karnevalsfreien Kneipen der Innenstadt behagliche Ruhe. Statt Karnevalsmusik sind sanfte lateinamerikanische Rhythmen zu hören, die Kneipe sieht aus wie immer: ein liebevoll zusammengestelltes Sammelsurium unterschiedlichster Einrichtungsgegenstände.

Besitzerin Ingrid Gemünd sitzt gemütlich an einem ihrer Tische. Viel ist nicht los, die paar Gäste kann sie nebenbei bedienen. Ihr ist das lieber so: „Für den ganzen Karnevalstrubel habe ich absolut keinen Nerv“, meint die 53-Jährige, „mir reicht der Krach aus der Nachbarkneipe.“ Und der Umsatz, der ihr durch die Lappen geht? „Mag ja sein, dass die Karnevalisten ein paar Euro mehr ausgeben – dafür muss man danach drei Tage renovieren. Mein Mobiliar ist dafür auch gar nicht gebaut“, betont sie mit zärtlichem Blick auf die zum Teil fast hundert Jahre alten Stühle.

Seit zweieinhalb Jahren führt Ingrid Gemünd die Kneipe. Im ersten Jahr hatte sie im Karnevalstrubel für einen Tag geöffnet – das hat ihr gereicht: „Nach zwei Stunden waren die Klos vollgepisst, der Laden sah aus wie ein Schlachtfeld. Das mache ich nie wieder“, sagt die resolute Kölnerin. Das wissen vor allem einige ihrer Stammgäste zu schätzen: „Es ist heute ja ziemlich schwierig, ein ruhiges Plätzchen zu finden, wenn man keine Lust zum Feiern hat“, meint ein 27-jähriger am Tisch in der Ecke, der auch sonst die gemütliche Atmosphäre des „Neuss“ zu schätzen weiß.

Die bunt geschminkte Frau am Nachbartisch hat schon in anderen Kneipen mitgefeiert und zieht sich jetzt für eine Weile hierher zurück. Gemünd kennt das schon vom vorigen Jahr: „Es kommen immer einige Karnevalisten hier rein, trinken ein Glas Tee oder essen was und ziehen dann weiter.“ Am Abend ist immer noch wenig los in ihrer Kneipe, doch das stört sie nicht im Mindesten. „Wer weiß, vielleicht platzt der Laden morgen aus allen Nähten. So war es im letzten Jahr auch: Mal so, mal so.“

Ein weiterer karnevalsmüder Kölner kommt herein, wischt sich fast verschämt die Schminke aus dem Gesicht: „Mir reicht‘s jetzt.“ Eigentlich kann der 33-Jährige Karneval nicht leiden, hat sich aber heute überreden lassen mitzukommen. „Normalerweise flüchte ich Karneval in die Eifel. Dieses Jahr muss ich arbeiten – also flüchte ich hierher.“ Vor dem Fenster ziehen immer wieder verkleidete Grüppchen vorbei. Wenn ihr Blick in die Kneipe fällt, unterbrechen sie verwundert ihr Rasseln und Trommeln, schauen ungläubig durch die Scheiben. Die Wirtin lacht, wenn sie das sieht: Bei ihr läuft eben alles etwas anders. Zumindest an Karneval. Jeanette Seiffert

Café Neuss, Neusser Str. 59