Chinas Interesse an Nordkorea heißt: Reformen

Der Status quo in Nordkorea ist unhaltbar. Das sieht auch Peking so, das seine Mittlerrolle in den jetzigen Verhandlungen nutzen will

PEKING taz ■ Richtig stolz seien die Chinesen auf ihre Gastgeberrolle, hörte man gestern von amerikanischer Seite vor dem Auftakt der trilateralen Verhandlungen zwischen den USA, Nordkorea und China in Peking. Ob das stimmt? Monatelang schien es, als wolle sich China mit allen Mitteln aus dem Atomstreit zwischen Washington und Pjöngjang heraushalten. Peking schien seinem alten Verbündeten sogar die rettende Hand hinzuhalten, indem es Nordkorea stillschweigend unverändert mit Öl und Reis belieferte. Doch dann floss Anfang März drei Tage lang kein Öl mehr aus der einen Volksrepublik in die andere. Und nun sitzen die drei wichtigsten Parteien des Koreakriegs plötzlich erstmals zu dritt an einem Tisch. Was mag Peking, ohne dessen Mittlerrolle es so schnell nie zu Gesprächen zwischen den USA und Nordkorea gekommen wäre, damit bezwecken?

Bei aller Gegensätzlichkeit der langfristigen geostrategischen Interessen, die Peking und Washington auf der koreanischen Halbinsel hegen und pflegen, gibt es offenbar eine Gemeinsamkeit: Keine Seite glaubt mehr an die Erhaltung des Status quo in Nordkorea. Dreihunderttausend nordkoreanische Flüchtlinge, die seit 1998 in China Unterschlupf gefunden haben, haben Peking wissen lassen, wie unhaltbar die Lage der Menschen im Nachbarland und wie real zugleich die Gefahr eines noch größeren Flüchtlingsstroms ist. Chinas Interessen in Nordkorea lassen sich deshalb mit einem Wort zusammenfassen: Reformen. Denn nur Reformen und Wirtschaftswachstum im Nachbarland können sowohl die Gefahr eines selbst ausgelösten Zusammenbruchs des Kim-Regimes als auch die Gefahr einer US-Invasion bannen. Allerdings weigert sich Pjöngjang bislang hartnäckig, dem „kapitalistischen“ Reformweg Chinas zu folgen.

So hat Peking wie zuvor Washington erfahren müssen, dass Druck allein Kim Jong Il nicht zu den gewünschten Taten bewegt. Werden die beiden Weltmächte den Diktator nun gemeinsam in die Knie zwingen? Das ginge nur, wenn sie in der Atomfrage wirklich zusammenhielten. Allerdings hätte Kim wohl kaum zu den Verhandlungen eingelenkt, wenn er sich nicht in der Lage glaubte, einen Keil zwischen Peking und Washington treiben zu können. Tatsächlich kann er damit rechnen, dass das Verhandlungsziel eines atomfreien Korea für Amerika von größerer Bedeutung ist als für China. Washington will damit wie im Irak die Grundlage einer unipolaren Weltordnung schaffen, für China geht es nur darum, Japan und Südkorea nicht zu eigenen Atomabenteuern zu ermuntern. Hier liegt ein weiterer Grund für die chinesische Verhandlungsinitiative: Man will sich vor Tokio und Seoul als regionaler Sicherheitsgarant erweisen. Der Neid Japans und Südkoreas aber fesselt wiederum die Amerikaner. Was wieder Nordkorea Spielraum verschafft. So könnten die Chinesen, heute wohl stolz auf ihre neue internationale Mittlerrolle, den Spaß daran schnell verlieren. GEORG BLUME