Ein großartiger Reporter

Keiner aus der Journalistenzunft sorgte sich so ernsthaft wie er um Verantwortung und Entwicklung seines Berufsstandes.Am frühen Mittwochmorgen starb Herbert Riehl-Heyse, Stil prägender Journalist der „Süddeutschen Zeitung“

von STEFAN KUZMANY

„Manchmal stelle ich mir vor, wie schön es sein müsste, wieder 25 Jahre alt zu sein und Journalist werden zu wollen.“ Mit diesen Worten beginnt ein Aufsatz von Herbert Riehl-Heyse, erschienen im Juni 2001, natürlich in der Süddeutschen Zeitung, und natürlich stellt sich im Laufe des Artikels heraus: So schön wäre es vielleicht doch nicht. Wie kein anderer Vertreter der Journalistenzunft hat sich Herbert Riehl-Heyse um die Entwicklung seines Berufsstandes gesorgt. Hat in zahlreichen Essays und Büchern die abnehmende Qualität der Ausbildung kritisiert, hat vor den angeblichen Segnungen der immer schnelleren Berichterstattung gewarnt, hat, wenn schon nicht Objektivität, so doch die Abwesenheit unverhohlener Parteilichkeit gefordert.

Vor allem jedoch war Herbert Riehl-Heyse ein großartiger Reporter. Begonnen hat er seine journalistische Karriere nach dem zweiten juristischen Staatsexamen beim Münchner Merkur. Angeregt dazu hatte ihn sein älterer Bruder Hans Riehl, lange Jahre Chefredakteur der tz. 1971 wechselte er zur Süddeutschen Zeitung. 1987 war er dort bereits stellvertretender Chefredakteur und Chefreporter. „Stil prägend“ nannte ihn gestern deren heutiger Vizeredaktionsleiter Ernst Fischer in einer ersten Reaktion auf den Tod des Kollegen. Noch lange bevor der Begriff „Leser-Blatt-Bindung“ durch Seminare über Redaktionsmanagement geisterte, schaffte es Riehl-Heyse, seine Leser im Blatt nach Texten von speziell ihm suchen zu lassen, denn sie garantierten Vergnügen bei der Lektüre: seine überaus genauen Beobachtungen, seine liebevolle Beschreibung gerade der bayerischen Lebensart und ihrer Vereinnahmung durch die Staatspartei CSU, seine keineswegs nur ironische Distanz zu dem und den Beschriebenen hoben ihn ab von der großen Mehrzahl seiner Kollegen. Er führte in seinen Texten die Figur des „Reporters“ ein. Nicht etwa aus Eitelkeit, sondern als Mittel der Transparenz – so konnte er über sich und seine Rolle als Journalist schreiben und wie diese Rolle die Begegnung mit den Porträtierten beeinflusste. Dermaßen beliebt waren seine Texte, dass einer, der später sogar an Journalistenschulen dozieren durfte, einige Anfänge von Riehl-Heyse-Reportagen, die so genannten Einstiege, wörtlich, mit minimalen Veränderungen und natürlich ohne Hinweis auf den wahren Urheber, für eigene Artikel verwertete. Das erzählte Riehl-Heyse selbst, und in den Ärger mischte sich dabei auch ein wenig Stolz. Den Plagiator zu enttarnen, so weit wäre er nicht gegangen.

Herbert Riehl-Heyse, am 2. Oktober 1940 geboren in dem oberbayerisch-katholischen Wallfahrtsort Altötting, blieb seiner Heimat stets verbunden. Im „Streiflicht“-Buch, einer Sammlung von Seite-1-Glossen der SZ, ist scherzhaft vermerkt, dass Riehl-Heyse, von der Suche nach einem Thema für das „Streiflicht“ umhergetrieben, oft aus dem Büro verschwinde. Manchmal sei er dann von Passanten in einem Biergarten, festgefroren auf einer Bank, aufgefunden und behutsam wieder zur Redaktion zurückgeführt worden. Vielleicht war es diese ausgeprägte Heimatliebe, die es ihm in Hamburg so schwer machte, als er 1989 in die Chefredaktion des Stern wechselte. Er blieb dort nur vier Monate, kehrte dann zurück nach München. Viel später erzählte er einmal, es sei frustrierend gewesen, journalistisch gegen nackte Frauen auf dem Titelbild zu argumentieren – und dabei oft den Kürzeren zu ziehen.

Der Nachrufer, damals 25 Jahre alt, hatte das Glück, den großen Reporter Riehl-Heyse, das Vorbild, einmal daheim besuchen zu dürfen und sich eine als Interview getarnte Privatstunde in Qualitätsjournalismus geben lassen zu können. Da thronte der Meister auf seinem Sofa im großzügigen Einfamilienhaus in Eichenau bei München, und bevor es losgehen konnte, fragte der Interviewer vom Flur aus, ob er denn die Schuhe ausziehen solle. „In Socken kann man natürlich kein Interview führen“, antwortete da der Hausherr und lachte. Erhalten ist von diesem Gespräch nur noch der Tipp, sollte es mit dem Schreiben einmal einfach nicht vorangehen wollen, dann dürfe man sich, aber nur, wenn der Abend schon weit vorangeschritten sei, zum Ansporn ein gutes Glas Rotwein gönnen. Der Rest des Gesprächs ist verloren, denn der unerfahrene Interviewer hatte einen Fehler gemacht mit seinem Aufnahmegerät. Von Riehl-Heyse war nichts auf dem Band, nur Rauschen. Jahrelang war es dem Interviewer zu peinlich, um eine Wiederholung zu bitten. Als Riehl-Heyse davon erfuhr, bot er sie von sich aus an – Gleiches sei ihm auch schon passiert.

Zu einem neuen Interview ist es leider nicht mehr gekommen. Herbert Riehl-Heyse ist am frühen Mittwochmorgen in seinem Haus in Eichenau einem langjährigen Krebsleiden erlegen.