ausgehen und rumstehen
: Mit Kunstsammlern auf Drogen

Ich denke an die Fingernägel von Joan Didion, an die Insektensammlung von Ernst Jünger und an meine nassen, kalten Füße. Danach denke ich blöderweise daran, dass mit dem Zeit Magazin und Neon die beiden harmlosesten Organe deutscher Befindlichkeit zuletzt auf ihrem Cover Fotos des amerikanischen Fotografen Ryan McGinley hatten. Irgendwas daran kommt mir komisch vor. Es ist Freitagabend. Eine SMS geht ein: „nichts verpasst. wildes, schwitzendes tanzen. kunstsammler auf glücklichmachenden drogen. große, perfekte nacht“.

Und der Wedding? Ist das eine Gegend, in der junge Leute gerne ihre Freizeit verbringen? Ein langhaariger Typ im schwarzen Anzug fährt uns mit dem Lastenaufzug in den Keller. Er trägt ein ornamentales Kreuz um den Hals. Die Partyveranstalter „Die Wilden 12“ und die „Kellerkinder“ haben ein Festival organisiert. 20 Meter unter der Erde erstreckt sich das 2.000 qm große Areal, die Feier. Diese ganze Hippie-Techno-Nummer, die immer noch prächtig funktioniert. Mit LSD-Funkenmariechen, studentischer Sex-Sauna und Mini-Kino zum Chillen. Auf dem Weg hierher überraschen die Flammen, die baumhoch aus dem Humboldthain schlagen. Obdachlose fliehen vor der Kälte in den dunklen großen Park und zünden ihre riesigen Feuer wie in New York oder wo.

Am Samstag schon wieder um die Ecke, aber doch ganz woanders. Eine kleine Champagner-Bar mit dem Namen Smaragd betreiben Menschen, die in den Neunzigern das Sujet von Wolfgang-Tillmanns-Fotografien bildeten. Es trifft sich die bohemistische Speerspitze des High-End-Kunstsegments. Edelsubkultur. Also eben Wedding, also eben Champagner. Also eben wohl auch diese superleckeren Superchips, die hier in kleinen Holzschalen drapiert sind.

In Stadtmitte aus dem U-Bahnschacht gehen wir einem großen dunkelblau glänzenden Himmel entgegen, aus dem Schnee fällt. In der umstrittenen Disco Badland’s, die ja eigentlich schon wieder zugemacht hat, feiert das Kulturmagazin 032c. Ein berühmter Schriftsteller erzählt mir, er sei überhaupt noch nie verspannt gewesen. Bis er vor wenigen Wochen die Rutsche eines Freibads hinunter und mitten hinein in den „Stau“ eines Mädchens gerutscht wäre. Er würde ja immer sehr schnell rutschen, indem er sein Gewicht einzig auf seine Schultern und seine Fersen stütze und nach dem Zusammenstoß hatte er doch ziemliche Rückenschmerzen. Alle beschweren sich, dass die Musik so uninspirierend sei, aber ich finde, die sollen mal die Schnauze halten. Jetzt noch auf den Maskenball in die Bar 1000? No way, sage ich und lache so umständlich, dass niemand es mitkriegt. Ein Mädchen, dass kurz die Steckdose unter ihrer Achselhöhle sehen lässt, beginnt sich an meinem Körper zu reiben, beißt in mein Ohrläppchen und flüstert, ihre Sabber an meiner Wange verschmierend: „Ich bin eine Lohan. Komm mit mir.“ Ich weiß nicht, was ich ihr entgegnen soll, finde sie viel zu zeitgemäß und verweise auf die Ausstellung „Fuck you human“ in der Galerie Maribel Lopez.

Am nächsten Morgen sehe ich, wie mein Kind auf dem schneebedeckten Spielplatz dem weißen Mann die Mohrrübennase aus dem Gesicht zieht und ein Stück abbeißt. Die Schneemänner sehen ganz unrein aus, weil sich so viel braunes Laub in die feinen Eiskristalle gemischt hat. Wir sitzen später auf dem billigen Teppich, hören Asia Today und schütten heißen Tee in uns hinein. Bobo den Bär haben wir auf das Schaukelpferdchen gesetzt. Der schaut nun nach draußen, in den Eisregen. So lange, bis wir ihn wieder herausnehmen.

TIMO FELDHAUS