Der iranische Autor Mahmood Falaki liest im Literaturzentrum aus seinem Roman „Die Schatten“
: Unvermittelt aufblitzender Ernst

Gleich zu Beginn seines Romans Die Schatten, den der iranische Autor Mahmood Falaki in einer persisch-deutschen Lesung im Literaturzentrum vorstellen wird, macht er die Leser zu Zeugen eines poetologischen Disputs. Der Ich-Erzähler gibt sich als Verfasser des Romans zu erkennen, der einem verdunkelten Teil seiner Geschichte auf der Spur ist.

Fotos sollen ihm helfen, die Erinnerungssplitter, die er in seiner Kinder- und Jugendzeit verortet, klarer zu erkennen. Passfotos seiner selbst sind es, aufgenommen zwischen dem zwölften und 16. Lebensjahr. Seine Versuche, Kontakt zu sich selbst als Kind herzustellen, gestalten sich schwierig, insbesondere der 15-Jährige stellt sein Vorhaben in Frage: „Was nutzt es dir, eine alte Geschichte aufzufrischen? Ich sage: Ich will die ganze Geschichte erzählen, die ganze, denn ich bin Schriftsteller geworden. (...) Wozu brauchst du dann mich? Lass dir etwas einfallen! Das hilft mir, einfacher und detaillierter zu schreiben. –Nein, damit willst du nur sagen, dass du noch existiert.“

Dennoch lässt der Erzähler sich nicht hindern, Erinnerung in einer Geschichte zu verdichten. Auslöser der Spurensuche ist der Mord an seinem Onkel, doch der Erzähler taucht tief ein in seine Kindheit und breitet das Leben in dem kleinen Ort am kaspischen Meer im Norden des Irans zu Beginn der 60er Jahre aus. Falaki entwirft einen ganzen Reigen skurriler Figuren, erzählt viele kleine Geschichten, die er fließend verwebt. Die Verwirrtheit der Tante Sadigheh, die stumm mit kajalgeschwärzten Augen vor dem Haus sitzt und das Wetter vorhersehen kann, scheint dem kindlichen Blick so vertraut wie komisch verschroben. Dass die Tante eine große Schande über die Familie gebracht hat, weil sie ein uneheliches Kind gebar; dass der Patriarch der Familie es ihr wegnahm und umbrachte und sie seither nicht mehr die ist, die sie war, erfährt man erst später.

Alle Figuren Falakis sind Teil einer größeren Gemeinschaft. Sie gehören zur Familie und sind in die Dorfgemeinschaft eingebunden. Dem Autor gelingt sowohl die lebendige Zeichnung dieses Miteinanders als auch die Hervorhebung der einzelnen Charaktere. Nicht nur im Falle der Tante wird dabei die Unterworfenheit der Einzelnen unter die Gemeinschaft deutlich. Es ist eine bemerkenswerte Beiläufigkeit, mit der sich aus eher leichtem Erzählton unvermittelt Ernst und Tragik einer Figur herauskristallisieren. Ohne Bewertungen skizziert Falaki die Sitten und Gebräuche. So erfährt der Leser von den gesellschaftlichen Hierarchien, den patriarchalischen Familienstrukturen.

Dem kindlichen Blick, den der Erzähler über weite Strecken beibehält, erscheinen auch die politischen Demonstrationen für den Schah komisch und absurd. Als wunderbare Groteske erzählt Falaki die Episode vom Straßenbauwettbewerb, die im politischen Kontext der Agrarreformen zu lesen ist. Weil ein Nachbar beginnt, die Bäume seines Grundstückes zu fällen, folgen ihm die anderen im Glauben, bald würde eine neue Straße ihr Dorf mit der Hauptstadt verbinden. Als die Erwartungen sich nicht erfüllen, beginnt die Suche nach einem Sündenbock, und die Groteske schlägt um in eine Parabel über religiöse Brandstiftung.

Falaki wurde unter dem Schah zu drei Jahren Haft verurteilt. Auch unter dem Mullah-Regime wurde er aufgrund seiner Schriften verfolgt, so dass er 1983 nach Deutschland emigrierte. Die von ihm entworfenen Bildwelten erscheinen fremdartig, doch keineswegs unzugänglich. Das Traditionelle und manchmal Phantastische verbinden sich mit modernen Erzählelementen. Im Komischen und Grotesken liegt eine wunderbar subtile Form des Kommentars zu den erzählten Geschehnissen. Auch die Zweifel an der Verlässlichkeit der Erinnerung und die Reflexionen über das Schreiben sind „klassische“ Zeichen modernen, genauer: postmodernen Erzählens. Über weite Strecken des Romans geht diese Mischung sehr gut auf. Schade, dass die Übersetzung der dichten Sprache nicht immer zu folgen weiß. CAROLA EBELING

Mahmood Falaki: „Die Schatten.“ Bremen: Sujet Verlag 2003, 184 S. 19,80 Euro Lesung: Mi, 25.2., 20 Uhr, Literaturzentrum, Schwanenwik 38