Kein Antiamerikanismus, aber ganz viel linker Tanzpunk: Anti-Flag in der Fabrik
: Happy-Streetfight-Attitüde

Sie haben eine recht direkte Art, die Dinge zu benennen. Sie sind zu viert, aus Pittsburgh in den USA, nennen sich „Pat Thetic“ oder „Justin Sane“, ihre Band heißt Anti-Flag, das aktuelle Album The Terror State. Sie fordern den „Death Of A Nation“ und werfen George W. Bush vor, ein „Turncoat!, Killer! Liar!, Thief!“ zu sein.

Ein Motto, das sie auch auf T-Shirts drucken, lautet: „No Borders. No Nations. No Flags. No Patriots.“ Im Song „Operation Iraqi Liberation (O.I.L.)“ erklären sie mit Singalong und Ohrwurmmelodie die US-Außenpolitik der jüngsten Vergangenheit: „To save you we may have to kill you! For freedom you may have to die!“

Anti-Flag sagen ihrer Nation musikalisch den Kampf an. Hierzulande ist man sich vom Linksruck bis zur NPD ja auch recht einig über diese „Internationale Völkermordzentrale USA“. Präsident Bush wird wahlweise als Oberhaupt eines globalen „Machtkartells, das die Interessen der transnationalen Konzerne und Finanzanleger verfolgt“ (Attac) oder gleich als „schlimmer als Hitler“ (Demo-Weisheit) bezeichnet.

Jeder dritte Mensch unter 30 wusste nach einer Umfrage der Zeit, dass die Urheber des 11. September die USA (CIA, FBI) selbst waren. Hollywood-Filme verseuchen die Köpfe, McDonalds und Co. die Mägen, und Shareholder-Dollar-Value essen ehrliche Euro-Seele auf. Vor Anti-Flags Bühne könnten sich also auch irgendwielinke Zwangssolidarisierer versammeln, die den Globus täglich nach neuen Befreiungsbewegungen absuchen, vor Verzückung in ihren Pali-Lappen heulen und alle zwei Sekunden ein pubertäres „Fuck Bush“ absondern. Oder?

Nachdem Teile der deutschen Linken – und die ist auch Anti-Flags Community – herausgefunden haben, dass Patriotismus immer scheiße ist, bei den USA aber nicht ganz so stinkt, wird die offene Gegnerschaft zu Stars & Stripes, wie auch das Pittsburgher Quartett sie bildet, als „antiamerikanisch“ getadelt. Die Kritik an den Staaten solle, so die Argumentation, vom eigenen Großmachtprojekt Europa ablenken.

Wahr ist das wohl, neu dabei nicht. „USA, das Blut fließt durch sie jeden Tag“ – auch ein Slogan aus einem Punkrocksong. Jedoch nicht von Anti-Flag – dies behauptete vor mehr als 20 Jahren die Hamburger Punklegende Slime, und verkündete die Konsequenz: „Yankees raus“. Gemeint waren damit in erster Linie die Einheiten der US-Army in aller Welt. Und somehow war das auch Konsens in der deutschen Polit-Punkszene, denn Präsident Ronald Reagan hatte eine „imperialistische Agenda“, und man war im Allgemeinen antiimperialistisch eingestellt. Ergo: gegen die USA.

Das war 1982 – das war auch Hafenstraße, war Brokdorf. Es gab Bullenschweine und Mollies und Steine. Außerdem Töne & Scherben. An der US-amerikanischen Westküste wurden zu dieser Zeit eher Surf- und Rollbretter denn Häuser besetzt. Der Punkrock, der mit Bands wie den Ramones auch irgendwie von dort hergekommen war, verpoppte, melodisierte sich. Combos wie NOFX, Descendents oder Bad Religion schliffen dem Fehlersound die Kanten ab und gaben statt Revolutionären gerade noch mittelklassige Rebellen ab.

Anti-Flag verbraten nun mehr als 20 Jahre später diese Happy-go-lucky-Dudelei mit der Streetfight-Attitüde des Polit-Punks, der in seiner Freizeit am liebsten Brandsätze schmeißt. „Yankees raus“ würden sie aber vermutlich doch nicht singen. Denn die Herkunft eines Menschen oder einer Band zum Argument zu machen, ob für oder wider, führt geradewegs in die Irre und ist nicht ihre Art. Wer Anti-Flag nur toll findet, weil sie Amis sind, die die Amis kritisieren, oder dem Quartett aus denselben Gründen Antiamerikanismus vorwerfen möchte, bleibe bitte am Dienstag zu Hause. Dann habe ich eben mehr Platz zum Tanzen.

Markus Flohr

Dienstag, 21 Uhr, Fabrik