„Sonderrecht für Osten unnötig“

Eckart Hien, der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, lehnt die Verlängerung oder gar die Ausweitung des Beschleunigungsgesetzes für ostdeutsche Verkehrsprojekte ab. Das Gesetz sei heute verfassungsrechtlich bedenklich

Interview CHRISTIAN RATH

taz: Herr Hien, bisher können Verkehrswege im Osten schneller gebaut werden als im Westen Deutschlands. Nun wird im Bundestag eine erneute Verlängerung dieses Sondergesetzes diskutiert. Halten Sie das für sinnvoll?

Eckart Hien: Ich halte das weder für sinnvoll noch für zulässig.

Warum? Der Aufbau Ost ist doch nicht abgeschlossen.

Das Beschleunigungsgesetz würde Ende 2004 auslaufen. Bis dahin können die letzten großen Verkehrsprojekte, etwa die Autobahnen im Süden Leipzigs, zumindest beantragt sein, was für die Anwendung des Gesetzes reicht. Ein Sonderrecht ist dann unnötig. Schon jetzt wird das Gesetz fast nur noch auf Ortsumfahrungen und andere Routineprojekte angewandt.

Tut es dem Osten nicht gut, wenn auch solche Vorhaben schneller umgesetzt werden können?

Viele Punkte des Beschleunigungsgesetzes sind in den letzten zehn Jahren bereits in das normale Planungsrecht übernommen worden. Die oft zitierten „kurzen Fristen“ bei der Planung gelten inzwischen allgemein. Vielen Befürwortern des Beschleunigungsgesetzes ist das wohl gar nicht bewusst. Dessen wesentlicher Regelungsinhalt ist heute nur noch die Verkürzung des Rechtsweges. Bei Klagen gegen Verkehrsprojekte in Ostdeutschland ist das Bundesverwaltungsgericht erste und einzige Instanz, während es in Westdeutschland zwei Instanzen gibt.

Welche Beschleunigung bringt das Gesetz für ostdeutsche Vorhaben?

Der Verzicht auf eine Gerichtsinstanz kann bei Großprojekten maximal ein bis eineinhalb Jahre Zeitgewinn bringen. Allerdings kommen in Westdeutschland nur rund fünf Prozent der Streitigkeiten überhaupt in die Revisionsinstanz, bei den übrigen 95 Prozent sind die Verfahren genau so schnell abgeschlossen wie im Osten. Außerdem kann in West und Ost bereits während des Gerichtsverfahrens gebaut werden – wenn die Richter keine einstweilige Verfügung erlassen.

Der Nutzen des Beschleunigungsgesetzes ist für den Osten also beschränkt. Warum aber halten Sie eine weitere Verlängerung sogar für unzulässig?

Bei der Planung von Straßen- und Schienenprojekten ist sehr viel Landesrecht auszulegen. Dazu sind wir als Bundesgericht gar nicht befugt. Nach 1990 war dies nur ausnahmsweise möglich, jetzt aber sind die Verwaltungsgerichte im Osten voll funktionsfähig und die Grundsatzfragen geklärt. 15 Jahre nach der Wiedervereinigung liegt im Osten keine Sondersituation mehr vor. Eine weitere Verlängerung des Beschleunigungsgesetzes halte ich deshalb für verfassungsrechtlich problematisch.

Die FDP will das Gesetz sogar auf ganz Deutschland ausweiten.

Das wäre eindeutig verfassungswidrig. In Westdeutschland gibt es gar keine Begründung für die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts.

Dann bleibt für die neuen Länder nur die Übernahme des westdeutschen Modells?

Das wäre sinnvoll. Denn ein Oberverwaltungsgericht als erste Instanz kennt die betroffene Region und das Landesrecht besser als ein zentrales Bundesgericht. Wir könnten uns dann in der Revision ganz auf die Rechtsfragen konzentrieren.

Haben ostdeutsche Kläger in den letzten zehn Jahren Rechtsschutz zweiter Klasse erhalten?

Das glaube ich nicht. Auch wenn es am Bundesverwaltungsgericht nicht üblich ist, Tatsachen zu untersuchen und Beweise zu erheben, haben sich die zwei zuständigen Senate viel Mühe gegeben und zahlreiche Ortstermine durchgeführt.