Praxisgebühr wankt und wackelt nicht

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt irritiert ihre Parteigenossen: Sie bezweifelt, dass die Praxisgebühr eine Zukunft hat. Auch die SPD-Linke sähe die Regelung lieber wieder abgeschafft – doch Bundeskanzler Schröder will „kein Zurück bei den Reformen“

AUS BERLIN ANDREAS SPANNBAUER

„Kommunikative Disziplin“ hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder nach seinem Rücktritt als SPD-Parteichef verlangt. Doch nach nur einer Woche ist damit schon wieder Schluss – und die SPD diskutiert wieder über die Praxisgebühr, die sie erst Anfang des Jahres eingeführt hat.

Ausgelöst hat die Debatte die verantwortliche Ministerin Ulla Schmidt. Sie würde „keine Wette darauf eingehen, dass die heutige Form der Praxisgebühr so noch in fünf Jahren verlangt“ werde, hatte die Gesundheitsministerin der Leipziger Volkszeitung gesagt – und so Spekulationen über eine mögliche Abschaffung der Gebühr genährt. Schmidt hatte darauf verwiesen, dass Patienten die Gebühr erstattet bekommen können, wenn sie an einem Hausarztmodell ihrer Krankenkasse teilnehmen.

Der Kanzler selbst sah sich daraufhin zu einer Klarstellung genötigt. „Es gibt kein Zurück bei den Reformen“, dekretierte Schröder gestern bei der Sitzung des SPD-Parteivorstands in Berlin. „Das gilt auch für die Praxisgebühr.“ Ähnlich äußerte sich auch der designierte Parteichef Franz Müntefering: „Der Beschluss gilt, das Gesetz gilt.“

Der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Klaus Vater, präzisierte am Vormittag die Aussagen seiner Ministerin. „Die Praxisgebühr wackelt und wankt nicht“ sagte Vater. Es liege aber in der Hand der Kassen, die „Steuerungsfunktion der Praxisgebühr zu nutzen“ und Patienten, die sich an einem Hausarztmodell beteiligen, die Praxisgebühr zurückzuerstatten. So hätten sich einige Kassen bereits mit einer ganzen Reihe von Ärzten über ein Hausarztsystem verständigt.

Kritiker des Reformkurses wittern angesichts der neuen Diskussion ihre Chance, die Praxisgebühr wieder grundsätzlich in Frage zu stellen. Fast zeitgleich zu dem Dementi des Kanzlers meldete sich der niedersächsische SPD-Fraktionschef Sigmar Gabriel zu Wort. Wenn es Entlastungen, etwa durch die Beteiligung der Pharmaindustrie oder mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen, gebe, „kann man sicher auch über Dinge wie Praxisgebühr wieder reden“, sagte Gabriel im NDR. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner will die Praxisgebühr streichen, weil dadurch Geringverdiener benachteiligt würden.

Bei den Grünen ist man über die erneute Debatte in der SPD alles andere als begeistert. „Wer die Praxisgebühr wieder abschaffen will, muss sagen, wie das finanziert werden soll“, sagte die grüne Abgeordnete Birgitt Bender der taz. Denn die Beitragssätze dürften nicht erhöht werden, die Lohnnebenkosten nicht steigen. „Das schadet den Arbeitslosen.“

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