Tragik und Farbexplosionen

Takeshi Kitanos tragische Episoden, kontrastiert mit Ataru Oikawas Manga-Streifen: Heute startet das vierte Japanische Filmfestival samt umfangreichem Beiprogramm im 3001

von TOBIAS NAGL

Was einst als Schmankerl des gewöhnlich liebevollen, hemmungslos dem Bizarren und Obskuren verpflichteten 3001 Kino-Programm begann, hat sich längst zu einer Institution gemausert: das Japanische Filmfestival. Im vierten Jahr präsentiert sich das Festival inzwischen mit 19 Spielfilmen und einer Kurzfilmrolle; als Veranstaltungsorte für Filmvorführungen und Beiprogramm stehen neben dem 3001-Kino das Museum für Völkerkunde, die Volkshochschule Mitte und die Hamburger Botschaft bereit.

Zu den Highlights zählt ganz sicher der in Venedig und Rotterdam gefeierte Eröffnungsfilm: Dolls von Takeshi Kitano, mit dem der große Stilist des Yakuza-Films neue Wege einschlägt. Zeichneten sich seine ersten neun Filme durch eine sehr zurückhaltende Farbskala aus, geht der Minimalist Kitano nun in die Vollen. Für die visuelle Prachtentfaltung ist kein Geringerer als der Star-Designer Yoji Yamamoto verantwortlich, dessen Kleider geradezu vor Farbe zu explodieren scheinen.

Eingerahmt durch eine Hommage an das traditionelle Bunraku-Puppentheater erzählt Takeshi Kitano drei Liebes-Episoden aus einer stilisierten japanischen Gegenwart: Matsumoto wurde aus Karrieregründen von ihrem Liebhaber Sawako verlassen. Als Matsumoto den Verstand verliert, kehrt er zurück, und zusammen wandern sie, auf ewig verbunden mit einem Seil, durch Japan. In einer anderen Episode hat sich Popstar Haruna aufgrund von Entstellungen nach einem Unfall zurückgezogen, aber einer ihrer Fans findet ein Weg, sie zu besuchen, ohne die Erinnerung an ihre einstige Schönheit zu besudeln: Er blendet sich. Dennoch fehlt bei so viel Tragik der für Kitano obligatorische Yakuza-Boss nicht: Nach dreißig Jahren hält ihm eine alte Liebe noch immer die Treue – erkennt ihn aber nicht, als er auf einer Parkbank neben ihr sitzt.

Freunde des handfesteren Horrors kommen bei zwei Teilen der Manga-Verfilmung Tomie auf ihre Kosten: Ein rächender weiblicher Geist treibt seit Generationen sein Unwesen, und Ataru Oikawa inszeniert ihn mit atmosphärischen PoV-Shots in der Tradition Argentos zu einem halbelektronischen Soundtrack. Mit The Mars Canon hingegen ist ein auch für japanische Verhältnisse ungewöhnlicher Film zu sehen. Shiori Kazama ist eine der wenigen japanischen Regisseurinnen: In ihrem dritten Film entfacht sie ein komplexes Beziehungspsychogramm mit lesbischem Subplot. Mit den Folgen 34, 38 und 42 von Tora San stellt das Festival die sicher längste Filmserie der Welt vor, präsentiert aber auch einen bemerkenswerten Komiker vom Format Jacques Tatis.

Weiterer Schwerpunkt ist das Schaffen Takahisa Zezes, eines der profiliertesten Regisseure künstlerisch anspruchsvoller Softpornos. Diese „pink eigas“ waren seit den 50er Jahren oft Spielplatz experimentierfreudiger Nachwuchsregisseure. Zeze aber erhebt dieses Genre in die filmischen Höhen eines Wong Karwai, zerpflückt seine Plots in assoziationsreichen Off-Monologen und umzirkelt seine Protagonisten in virtuosen Handkamerafahrten. Natürlich wird auch in ihnen reichlich heterosexuell kopuliert; staunen aber macht, wie beiläufig dies als Teil eines Plots geschieht.

Im Anschluss an Tokyo X Erotica, Zezes besten, aber auch brutalsten Film, wird der Regisseur dem Japanologen Roland Domenig Rede und Antwort stehen. Doch eigentlich sind Zezes Filme so sehr Kino, dass sie die kulturwissenschaftliche Absicherung gar nicht nötig haben dürften. Denn welches andere erotische Kino stellt leitmotivisch Fragen wie: „Which is longer, the time before birth or the time after death?“

Dolls: heute, 20 Uhr (anschl. Party in der Hamburger Botschaft, Sternstr. 67); A Forest With No Name: morgen, 18 Uhr; When You Sing of Love: morgen, 20 Uhr; Mask de 41: morgen, 22.30 Uhr; Hole in the Sky: Fr, 18.4., 18 Uhr, 3001; Info unter www.nihonmedia.de