BERNHARD PÖTTER über KINDER
: Reden lassen. Schreien lassen. Zuschlagen

Ich bin zurück aus dem Erziehungsurlaub. Es macht keinen Unterschied. Arbeiten und Elternurlauben ist das Gleiche

„Na, wieder da aus dem Erziehungsurlaub?“, ruft der Kollege durchs Treppenhaus. „Hast du die freie Zeit wenigstens genossen?“, will die Frau an seiner Seite wissen. Vater, vergib ihnen, denke ich, denn sie wissen nicht, was sie reden.

Jawohl, ich war im Erziehungsurlaub. Aber bei mir heißt Urlaub nicht, sich am Strand seine Spanferkelbräune zu holen. Meine Urlaube führen mich in wilde Gegenden, wo der Dreck an der Jacke klebt, wo man gebissen wird, seine Körperpflege vernachlässigt und dauernd schwitzt. Entweder vor Anstrengung oder vor Angst.

Urlaub, das heißt Blut, Scheiß und Tränen. Jawohl, aus einem solchen Urlaub komme ich gerade zurück. Und jawohl, ich habe es genossen.

„Das heißt doch nicht mehr Erziehungsurlaub“, sagt die zufällig anwesende Kollegin fürs Soziale. „Das heißt jetzt Elternzeit.“ Aber damit muss sie oder die Bundesfamilienministerin mir gar nicht erst kommen. Elternzeit – das klingt nach Zeit haben und Zeit lesen, nach Sommerzeit, nach FREIZEIT. Und das ist die Brutpflege nun wirklich nicht.

Ganz im Gegenteil. 24 Stunden, sieben Tage die Woche, kein Streikrecht und schmierige Küsse als Weihnachtsgratifikation. Nee, nee, ich bestehe darauf: Ich habe das letzte Jahr nicht gearbeitet. Ich war im Urlaub. In einem von diesen Urlauben, in denen man sich aufs Büro freut.

Natürlich nur, um sich dort sofort wieder in den Urlaub zurückzuwünschen. Plötzlich oszilliert das Leben wieder zwischen Todesangst und grauer Langeweile. Die Arbeit ist gleichzeitig unglaublich wichtig und furchtbar stupide. Und die Menschen um mich herum liebe ich am meisten, wenn sie schlafen. Ich kenne diese Symptome. Sie zeigen, dass Arbeiten und Elternurlauben doch das Gleiche ist.

Sie lachen? Sie meinen, das sei doch etwas völlig anderes: Einerseits mit Abhängigen zu tun zu haben, die jeden Tag aufs Neue versuchen, sich in der Welt zurechtzufinden, die alles ausprobieren und keine Manieren kennen – oder andererseits seine Tage mit Kindern zu verbringen? Sie irren sich. Hier sind zehn Gründe, warum es keinen Unterschied macht, ob wir am Schreibtisch sitzen oder am Wickeltisch stehen.

1. Oberste Maxime jeglichen Tuns: Shit happens.

2. Ein Mittagsschläfchen wirkt Wunder.

3. Immer die gleichen Leute kommen zu den immer gleichen Anlässen immer genau gleich zu spät. Ob Frühstück im Kindergarten oder Redaktionsschluss: Wer nicht um 8.30 Uhr pünktlich ist, schafft auch 9.30 Uhr nicht. Wer die Zeit für die Abgabe von Texten immer eine halbe Stunde überzieht, verpasst sie auch, wenn er morgens um sieben mit der Arbeit beginnt.

4. Der Wettstreit konkurrierender Meinungen verläuft immer nach dem gleichen Muster:„Nein!“– „Doch!“– „Nein!“ –„Doch!“ – „Nein!“– „Doch!“

5. Die Strategien zur Lösung von Konflikten sind begrenzt: Redenredenreden. Reden lassen. Schreienschreienschreien. Schreien lassen. Zuschlagen.

6. Wer ein entspanntes Leben führen will, muss gleichzeitig Folgendes können: essen, Essen machen, verdautes Essen entsorgen, telefonieren, streicheln, brüllen, singen, zuhören, Ideen haben, meckern. Und dabei immer gut aussehen.

7. Sein Überleben sichert, wer dauernd tolle Storys ausgräbt. Für den Chef. Für die Morgenkonferenz. Für die Gutenachtgeschichte.

8. Am ruhigsten schläft, wer die einfachsten Lösungen für die unmöglichsten Fragen ertragen kann. Wer ist der beste Deutsche, Adenauer oder Luther? Was ist schöner, Rot oder Blau?

9. Gewöhnen Sie sich an den Zwang, zu allem immer sofort eine Meinung haben zu müssen: Müssen wir auf den Mars fliegen? Ist Mars besser als Snickers?

10. „Alles, was ich wirklich wissen muss, habe ich im Kindergarten gelernt“ (Robert Fulghum, Bestsellerautor).

„Ah, da bist du ja wieder“, sagt der nächste Kollege. „War’s schön zu Hause? Willkommen im wirklichen Leben.“

Manche Leute kapieren es einfach nicht.

Fragen zur Elternzeit? kolumne@taz.de. Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN