Löhne wie in China?

Kritik an Clements Reformvorschlägen hält an: Rau gegen Löhne „wie in China“, SPD-Linke brütet noch

BERLIN taz ■ Zumindest Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement kann keinen Unmut bei der SPD-Basis ausmachen über die Kürzungen bei der Arbeitslosenunterstützung. Stattdessen erlebe er eine „außerordentlich konstruktive Diskussion“ mit seinen Genossen, sagte er gestern vor Journalisten. Diese breite Zustimmung verwundert Clement nicht, schließlich sei er „nicht in einer Streichrunde, ich bin in einer Reformrunde“. Es gehe um nicht weniger als eine „Wende am Arbeitsmarkt“. Er wolle nicht mehr „die Arbeitslosigkeit finanzieren, sondern die Vermittlung“.

Die Sorgen der Linken in der SPD-Fraktion, dass es die Kaufkraft schwächt, wenn man bei den Arbeitslosen kürzt, kann er selbstverständlich nicht teilen. Das sei eine „Fehlrechnung“, eine „statische Diskussion“. Denn die fehlende Kaufkraft würde ja anderswo neu entstehen – nämlich bei den Beitragszahlern, sobald die Lohnnebenkosten sinken.

Allerdings musste Clement einräumen, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung frühstens „in zwei Jahren“ abnehmen dürften. Die Linken in der Fraktion haben noch nicht einheitlich auf den Minister reagiert. Aber gegen Ende der Woche wollen sie eine kompakte Antwort auf den Minister formuliert haben.

Wie schwierig es am Arbeitsmarkt ist, zeigt sich auch bei den Jugendlichen. Im März waren 562.000 arbeitslos, 57.000 mehr als vor einem Jahr. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Weitere 558.000 nehmen bereits jetzt an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teil. Gleichzeitig droht im Herbst eine Ausbildungskatastrophe: 331.000 Jugendliche suchen eine Lehrstelle, aber nur 190.200 Ausbildungsplätze sind unbesetzt.

Clement gab gestern als Ziel aus: „ein Ausbildungsplatz oder ein zumutbares Beschäftigungsangebot für jeden jungen Menschen unter 25 Jahren“. Bei den Lehrstellen setzt er allerdings noch auf die Freiwilligkeit der Firmen und will nicht mit einer gesetzlichen Ausbildungsplatzabgabe drohen. Gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden will er eine „Task Force“ gründen und eine bundesweite Kampagne starten.

Allerdings scheint er den Erfolgen nicht so recht zu trauen. Für ein Sonderprogramm für 100.000 jugendliche Sozialhilfeempfänger stellt der Bund in diesem Jahr 120 Millionen Euro zur Verfügung, im nächsten Jahr dann 200 Millionen Euro.

Bundespräsident Johannes Rau kritisierte Clement gestern indirekt: Wer behaupte, der Umbau der Sozialsysteme werde die Massenarbeitslosigkeit entscheidend senken, führe die Öffentlichkeit „wissentlich in die Irre“. Deutschland dürfe sich nicht auf ein Lohnniveau begeben, wie es in China oder Vietnam üblich sei. U.H.

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