Kanonen auf Spatzen

Die Schüsse auf die JournalistInnen in Bagdad kündigen die neue Welt-Informationsordnung von US-Gnaden an

Was wir erfahren, ist der übermächtigen Kriegsparteiein Dorn im Auge

Als arabische und dann auch europäische Fernsehstationen die ersten Bilder von amerikanischen Kriegsgefangenen zeigten, klagte Verteidigungsminister Rumsfeld über eine Verletzung der Genfer Konventionen. Wohl wahr, sagten Menschenrechtsorganisationen: Spätestens da, wo das Interview zum Verhör vor Kameras wird, hört der Spaß auf.

Doch wer die humane Behandlung von Kriegsgefangenen einklagt, muss sich auch an die Genfer Konvention erinnern lassen, mit der die Zivilbevölkerung geschützt werden soll – einschließlich der Journalisten vor Ort. Wären die USA tatsächlich zu diesem Feldzug angetreten, um die universalistischen Prinzipien der Demokratie in den Nahen Osten zu bringen, dann müsste dazu auch die Freiheit der Berichterstattung gehören. Im Krieg bedeutet das zwar nicht das Recht auf ungefilterte militärische Information. Wohl aber die Achtung der physischen Integrität auch derjenigen Berichterstatter, die als solche zu erkennen sind und die sich unabhängig von den Kriegsparteien bewegen wollen. Das hätte für die Mitarbeiter der beiden bombardierten arabischen TV-Stationen genauso gelten müssen wie für die internationalen Journalisten im Palestine Hotel.

Mit wechselnden Begründungen versucht das US-Kommando in Katar, diese Schutzregeln auszuhebeln. Erst waren es angebliche Heckenschützen in der Hotel-Lobby, die den Panzer zum Granatenbeschuss des 15. Stocks veranlassten. Als sich dafür keine Zeugen fanden – dagegen jedoch eine ganze Menge – schwenkte man um: Das Hotel, so heißt es dann, sei von der irakischen Seite für Versammlungen genutzt und daher zum Kriegsziel erklärt worden. Waren das vielleicht Pressegespräche oder Auftritte des irakischen Informationsministers?

Ganz offenkundig dehnt die derzeitige US-Führung ihren Grundsatz „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ mittlerweile auf missliebige Medien aus. Wo immer sich auch nur der leiseste Bezug journalistischer Arbeit zur irakischen Kriegspropaganda herstellen lässt, markiert das US-Militär ein neues Ziel für Bomben oder Panzergranaten.

Die neuen Grenzen der Pressefreiheit hatte Washington im Übrigen schon unter Bill Clinton im Kosovokrieg angekündigt, als Nato-Flugzeuge das Gebäude des staatlichen serbischen Fernsehens bombardierten. In Afghanistan dann ließ Bush konsequent und ebenso völkerrechtswidrig das Kabuler Büro von al-Dschasira bombardieren.

Mittlerweile zeigt sich auch, dass das freundliche Lockangebot, Journalisten massenweise ins eigene Militär einzubetten, nicht einfach dazu da war, die Weltmedien mit zusätzlichen Berichten aus der eigenen Perspektive zu steuern. Ziel ist offenbar die Kontrolle möglichst der gesamten Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet. Die europäischen Sender haben uns zwar kein wirklich realistisches Abbild dieser Ereignisse liefern können. Der Bilderflut entsprach oft genug eine peinliche Informationsebbe. Doch selbst das wenige, was wir erfahren durften, ist der übermächtigen Kriegspartei ein Dorn im Auge. Tatsächlich hat auch das unvollständige Puzzle von Bildern, unbestätigten Meldungen und subjektiven Beobachtungen der Kriegspropaganda beider Seiten immer wieder Grenzen gesetzt. Kräftig mitgemischt hat dabei im Übrigen auch die BBC, die schon in den ersten Kriegstagen amerikanische Falschmeldungen von der Einnahme der Hafenstadt Umm Kasr korrigierte.

Die neuen Grenzen der Pressefreiheit wurden schon imKosovo angekündigt

Wenn Kanonen auf Spatzen schießen und ein amerikanischer General deutlich macht, das sei nun einmal so, denn nur den „eingebetteten“ Journalisten könne eine zivile Behandlung garantiert werden, dann kündigt sich hier eine neue Welt-Informationsordnung an – Pressefreiheit von Supermachts Gnaden.

MICHAEL REDISKE